Fanny Hensel auf Reisen

Von Berlin nach Paris und zurück

 

Über Köln, Düsseldorf und Aachen, Lüttich, Namur und Valenciennes reiste die Komponistin Fanny Hensel im Sommer 1835 von Berlin nach Paris. Zweieinhalb Monate lang lebte sie mit ihrem Mann, dem Maler Wilhelm Hensel, dem Sohn Sebastian, damals fünf Jahre alt, und der Schwägerin Minna „aus den Koffern". Das Reisen war beschwerlich. Bis nach Paris waren mehrere Übernachtungen notwendig, deshalb gab es die vielen Stationen bis zur Ankunft in der französischen Hauptstadt.

 

Die Unterbrechungen der Reise hatten jedoch noch einen anderen Grund. Wohl gingen in diesen Zeiten - sehr viel häufiger als heute - zahlreiche Briefe zwischen Familienmitgliedern und Freunden hin und her, doch ersetzten sie den persönlichen Kontakt nicht. Die Familie Hensel nutzte die Reise nach Frankreich auch für ein Familientreffen. Felix Mendelssohn Bartholdy, der berühmte Bruder Fannys, leitete in Köln das Musikfest. Dazu trafen die Eltern Lea und Abraham aus Berlin, die Schwester Rebecka und die Schwägerin Rosa ein. Gemeinsam machte sich die Familie nach Düsseldorf auf, wo Felix als städtischer Musikdirektor tätig war.

 

Am 21. Juni hieß es, Abschied zu nehmen. Die Hensels reisten nun Richtung Paris. Schon vom nächsten Tag datiert der erste Brief, den Fanny an ihre Mutter Lea schrieb. „Mit den Gefühlen eines Kindes" findet sie sich in der Hauptstadt der Künste und Künstler wieder, sehnt die Gespräche mit den Vertrauten herbei, schimpft auf das schlechte Wetter und berichtet von den ersten Eindrücken und dem babylonischen Sprachengewirr, das das Zusammentreffen von Menschen verschiedener Herkünfte entfacht.

Die Briefe, die Hans-Günter Klein für den Band „Briefe aus Paris" entziffert und kommentiert hat, zeigen, wie eng die Verbindungen europäischer Bürgerfamilien im 19. Jahrhundert waren, wie dicht das kommunikative Netzwerk sein musste, um emotionale und informelle Bindungen aufrecht zu halten. In Nebensätzen scheinen oft die über die persönlichen Eindrücke hinausgehenden Ereignisse und Beziehungen durch, deren Beschaffenheit sich ohne die Erläuterung des Herausgebers nur selten erschließen.

 

Welches Verhältnis hatten die bis heute für die Berliner und deutsche Kulturgeschichte relevanten Bürgerfamilien des 19. Jahrhunderts untereinander?

Das eher gespannte Verhältnis zwischen der Familie Beer / Meyerbeer und der Familie Hensel / Mendelssohn Bartholdy spricht Fanny Hensel in einem Brief vom 17. August an ihre Schwester Rebecka Dirichlet direkt an. Den Eindruck, den das Haus der Familie Rothschild auf sie macht, beschreibt Fanny Hensel gspielt nüchtern: „Mit mehr Geschmack kann man sein Geld nicht verschwenden." Ihre Sprache sprüht von Witz und Ironie dabei und macht auch vor den liebsten Verwandten nicht Halt.

 

Die Fürsorge und Liebe der Familienmitglieder und befreundeten Familien untereinander zieht sich gleichzeitig wie ein roter Faden durch alle Briefe. Aufmerksam beobachtet die Briefschreiberin ihren kleinen Sohn und gibt den Lesenden damit Einblick in das innere Gefüge einer Familie im Biedermeier. Als der Vater schreibt, die Mutter sei schwer erkrankt, beruhigt er die Tochter sogleich, um ihr den Gedanken an eine Rückkehr auszutreiben. Die tiefe Sorge Fannys um die Mutter legt sich nur zögernd.

Der beständige Kontakt über große Entfernungen hinweg mutet beschaulich an und war doch mit großem Aufwand verbunden. Jeder einzelne Brief musste von einem zuverlässigen Menschen „besorgt" werden, nicht immer stand ein Postbote zur Verfügung.

Die Briefe Fanny Hensels bewahrt das Mendelssohn-Archiv in der Staatsbibliothek zu Berlin. Die Antwortschreiben an die Absenderin gelten großenteils als verschollen, so dass der Herausgeber nicht alle inhaltlichen Bezüge klären konnte. Mit Personenregister und Anmerkungen ausgestattet finden sich auch diejenigen Lesenden in den Briefen Fannys zurecht, die keine eingehenden Kenntnisse der in der dritten Generation schon weit verzweigten Familie Mendelssohn-Bartholdy-Hensel besitzen. – Gerhild H. M. Komander –

 

Fanny Hensel: Briefe aus Paris an ihre Familie 1835, nach den Quellen zum ersten Mal herausgegeben von Hans-Günter Klein, Wiesbaden: Reichert Verlag 2007. 100 S. Mit neun Schwarzweißabbildungen. 24,90 Euro

 

Gerhild H. M. Komander

Der Text erschien zuerst im "Berliner Lindenblatt" 2007.

 

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