Zum 100. Geburtstag der deutsch-amerikanischen Philosophin Hannah Arendt (1906-1975)

„Nur das ist wahr, dem wir bis zuletzt die Treue halten"

Hannah Arendt interessiert sich nicht für Politik. Ab 1933 sieht sie sich dazu gezwungen. Die plötzliche Unzuverlässigkeit ihres Heimatlandes und die unerwartete Gefahr als Jüdin geboren zu sein, sind die Bedingungen, unter denen Hannah Arendt erstmals politisch denkt, eine Aufgabe, zu der sie von sich aus nicht neigt.

 
Hannah (Johanna) Arendt

Geboren 14. Oktober 1906 Linden, heute Hannover
gestorben 4. Dezember 1975 New York City
bestattet auf dem Friedhof Annandale-on Hudson im Bard College


Ihr Anblick übt einen starken Eindruck aus. Große Augen, dunkel, voller Mund über energischem Kinn, hohe Stirn und Wangenknochen, gerade Nase – ein Lächeln, das bis in die Augen leuchtet. Hannah Arendt hat auf allen Porträts einen ungewöhnlich klaren Blick, später in der Hand stets eine Zigarette. Der Eindruck trügt nicht.

Sie fällt den gleichaltrigen Kindern als schönes und kluges Mädchen auf, der Mutter als eine Tochter mit besonderem Eigensinn. Hannah behagt der frühe Schulunterricht nicht. Martha Arendt setzt bei der Schulleitung durch, dass ihre Tochter an den ersten Stunden nicht teilnehmen muss. Schließlich wird die Eigensinnige von der Schule verwiesen. Sie fühlte sich von einem Lehrer beleidigt.

 

Hannah verlässt Königsberg, die Stadt, in der sie seit ihrem vierten Lebensjahr zuhause ist. Ihre Mutter erreicht es, dass die Berliner Humboldt-Universität die 15-Jährige für einige Semester zum Studium zulässt. 1924 legt Hannah in Königsberg das externe Abitur ab. Martha Arendt setzt mit ihrem Engagement für die Tochter eine Tradition fort. Sie stammt wie ihr Ehemann Paul, Hannahs Vater, aus einer wohlhabenden Familie, die der liberalen jüdischen Gemeinde Königsbergs angehört. In diesem aufgeklärten bürgerlichen Kreis ist es seit Generationen üblich, der Erziehung und Bildung der Töchter besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Martha Arendt hat selbst eine ausgezeichnete Ausbildung genossen, in Paris Französisch und Musik studiert. 1902 heiratet sie den Ingenieur Paul Arendt und zieht mit ihm nach Hannover-Linden. Hier kommt am 14. Oktober 1806 die einzige Tochter Johanna zur Welt.

 

Martha und Paul Arendt begeistern sich für ihre Tochter und die sozialistischen Ideen. Sie kehren nach Königsberg zurück, weil die Siphylis, mit der sich Hannahs Vater in jungen Jahren angesteckt hatte, wieder ausbricht, und Paul Arendt nicht mehr arbeiten kann. Hannah quittiert den Tod des Vaters im Jahre 1913 mit Schweigen. Dann erklärt sie der Mutter, man müsse an traurige Dinge so wenig wie möglich denken.

Elf Jahre später geht Hannah Arendt nach Marburg, denn sie will die Vorlesungen des Philosophieprofessors Martin Heidegger hören. Sie studiert Philosophie, Theologie und Griechisch. Der verheiratete Heidegger verliebt sich in sie und umgekehrt. Die Liebesbeziehung zu dem 17 Jahre älteren Philosophen bringt Hannah Arendt ein nicht gekanntes Gefühl von Abhängigkeit. Sie reißt sich los, setzt ihr Studium in Heidelberg bei Karl Jaspers fort, bei dem sie auch promoviert.

Ab 1929 befasst sie sich mit dem Leben von Rahel Varnhagen, der Jüdin, die – anders als Hannah Arendt – zum christlichen Glauben übertrat, die – wie Hannah Arendt – einen Platz in der Welt suchend unglücklich liebte – und das Mädchen aus der Fremde blieb. Vier Jahre lebt sie in Berlin, in einer Wohnung am Breitenbachplatz.

 

Hannah Arendt interessiert sich nicht für Politik. Ab 1933 sieht sie sich dazu gezwungen. Die plötzliche Unzuverlässigkeit ihres Heimatlandes und die unerwartete Gefahr als Jüdin geboren zu sein, sind die Bedingungen, unter denen Hannah Arendt erstmals politisch denkt, eine Aufgabe, zu der sie von sich aus nicht neigt und nicht erzogen ist. „Das persönliche Problem war doch nicht etwa, was unsere Feinde, sondern was unsere Freunde taten", sagt sie später. Den Verrat erlebt sie ein zweites Mal. Von New York aus berichtet Hannah Arendt 1961 über den Prozess gegen Adolf Eichmann, den Organisator der Deportationen in die Konzentrationslager. Einen „Hanswurst" nennt sie ihn und nimmt sich – allen Anfeindungen zum Trotz – bis an ihr Lebensende die Freiheit, „ohne Geländer zu denken", wie sie es nennt.

 

Gerhild H. M. Komander

Der Text erschien zuerst im "Berliner Lindenblatt" 2006.

 

Leseempfehlung:

Wolfgang Heuer: Hannah Arendt. Reinbek: Rowohlt Taschenbuch Verlag 2004. 157 S. 7,50 Euro.

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