Ohne Niederlage geht's nicht vorwärts: Die Niederlagstraße
Zwischen dem Gerüst der Bauakademie und der Friedrichswerderschen Kirche führt rechts eine schmale Straße Richtung Unter den Linden aus dem Friedrichswerder hinaus, in die Dorotheenstadt hinein.
Sie mutet wie ein Privatweg an der Werderstraße an und hat doch ein Straßenschild, das sie als Niederlagstraße ausweist.
Das Niederlagsrecht
Was verbirgt sich hinter dieser Bezeichnung? Mit dem gebräuchlichen Wort Niederlage hat sie nichts zu tun, vielmehr mit dem Verb niederlegen, etwas ablegen. Es gab im städtischen Gemeinwesen ein Recht, fremde Kaufleute nur dann durch das eigene Stadtgebiet ziehen zu lassen, wenn diese zuvor ihre Waren an einem bestimmten Ort zu einem bestimmten Zweck ablegten.
Das Niederlagsrecht, auch als Stapelrecht bezeichnet, war ein Zwangsrecht der Stadt und brachte ihr Handelsvorteile und unmittelbare Einnahmen. Das Niederlagsrecht erlaubte der Stadt, von reisenden Kaufleuten zu Land und zu Wasser, die auf dem Weg zu ihrem Zielort die Stadt einschließlich eines bestimmten Umkreises berührten, zu verlangen, daß dieselben ihre Ware ausluden und auf dem Markt oder in der Kaufhalle der Stadt den EinwohnerInnen feilboten. Nur was nicht verkauft wurde, durfte ohne Zahlung einer Entschädigung weiter befördert werden.
Die Stadt konnte das Niederlagsrecht vom Landesherren erwerben.
Berlin und Cölln müssen dieses wichtige Handelsrecht schon in den ersten Jahrzehnten ihres Bestehens als Kaufmannsstädte besessen haben. Das Zentrum der Doppelstadt bildete der Mühlendamm, an dem sich zwei bedeutende Handelsstraßen kreuzten: Vom Rhein nach Polen hinein und von Süddeutschland über Leipzig an die Ostseeküste. Der Stau am Mühlendamm, der die Durchfahrt der Schiffe unterband, bildete insofern kein Hindernis für den Warenverkehr zu Wasser, als die fremden Kaufleute eben durch das Niederlagsrecht ohnenhin gezwungen waren, ihre Güter aus- und umzuladen.
Wie unterschiedlich die Gunst der Landesherren verteilt war, zeigt die Tatsache, daß Berlin und Cölln ihrerseits vom Niederlagszwang der Städte Frankfurt /O. und Oderberg befreit waren. Sie durften ihre Waren unbehelligt an den Städten vorbei an andere Orte fahren.
1442 forderte Kurfürst Friedrich II. das Niederlagsrecht von den Städten Berlin und Cölln zurück. Die Einkünfte gingen ihnen damit verloren, doch der Handel blieb. Erst 1807 wurde das Niederlagsrecht förmlich aufgehoben.
Der Packhof
In Berlin erinnert die Niederlagstraße auf dem Friedrichswerder an das mittelalterliche Recht. Zwischen der Schleuse im Cöllner Stadtgraben - daran erinnert die Schleusenbrücke am Außenministerium - und der Hundebrücke – etwa an der Stelle der Schloßbrücke - errichtete der Ingenieur Philipp de Chièze im Auftrag des Kurfürsten Friedrich Wilhelm ab 1652 die Gebäude des Packhofes mit Niederlage-, Zoll- und Akziseamt. Die hier zuvor befindlichen Mühlen verlagerte man an die Schloßfreiheit jenseits des Cöllner Stadtgrabens (Schloßplatz). Später entstanden auf der Niederlage die Bauakademie und der Schinkelplatz, auf dem sich heute die Standbilder Karl Friedrich Schinkels, Albrecht Thaers und Peter Christian Beuths befinden.
1743 veranlaßte König Friedrich II. auf Bitten der Kaufleute den Bau eines neuen Packhofes auf dem Gelände des Lustgartens mit Kran und Wachhaus und stellte das Pomeranzenhaus zur Verfügung. Auf diesem Gelände entstand später auch das Neue Museum auf der Museumsinsel.
Weitere Abladeplätze für Holz und Steine gab es beidseitig der Spree vor dem Stralauer Tor (Stralauer Straße), an der Abzweigung des Cöllner Stadtgrabens von der Spree in Neucölln am Wasser (Märkisches Ufer) und am Unterbaum (Reichstagsufer).
Gerhild H. M. Komander
Der Text erschien zuerst im "Berliner Lindenblatt", Februar 2007.
Die Stadtführung zum Friedrichswerder gibt es hier.
Leseempfehlung:
Werner Natzschka: Berlin und seine Wasserstraßen, Berlin 1971.
Vermischte Schriften im Anschlusse an die Berlinische Chronik und an das Urkundenbuch, hg. vom Verein für die Geschichte Berlins, 1. Bd., Berlin 1888.
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