CarlLegien150Bruno Taut bebaut den Prenzlauer Berg

Die Wohnstadt Carl Legien

1929 erwirbt die GEHAG - Gemeinnützige Heimstätten-, Spar- und Bau-Aktiengesellschaft – vom Brauereibesitzer Julius Bötzow ehemaliges Ackerland als Bauland. Wohnungen sollen hier entstehen. Sie überträgt dem Architekten Bruno Taut die Gesamtplanung. Franz Hilliger ist daran beteiligt.

 

Im Winkel von Prenzlauer Alle und Ostseestraße entstehen entlang der Erich-Weinert-Straße, die zunächst Carmen-Sylva-Straße heißt, 1 149 Wohnungen. Achtzig Prozent davon sind Kleinstwohnungen mit ein bis zwei Zimmern. Die übrigen Wohnungen haben bis zu viereinhalb Zimmer.

 

CarlLegien 3Im Stadtteil Prenzlauer Berg, der sich gerade vom Szenekiez zum Familienviertel wandelt, sind über siebzig Prozent der Wohnungen vor 1919 errichtet worden. Die Wohnstadt Carl Legien, die nach den Entwürfen Bruno Tauts entsteht, hebt sich deutlich davon ab. Dieser Stadtteil, durch den drei verkehrsüberlastete Ausfallstraßen der Großstadt ziehen, der deshalb die höchste Luftverschmutzung aller Berliner Stadtteile ertragen muss, besitzt wenig Grün, als einziger Stadtteil kein Gewässer.

Auch mit architektonischen Reizen ist Prenzlauer Berg nicht eben gesegnet. Das hängt mit seiner Geschichte zusammen, die sich nicht auf alte Siedlungskerne berufen kann, sondern auf die Ansammlung von Windmühlen auf dem wahren Prenzlauer Berg, auf Brauereien und Ausflugslokale, sowie kleine Industriebetriebe.

 

Die Menschen brauchen Wohnungen

1872 wird im heutigen Ernst-Thälmann-Park das Gaswerk eröffnet, ab 1877 nimmt der Zentral-Vieh-und-Schlachthof an der Landsberger Allee seinen Betrieb auf. 6 450 Beschäftigte hat er im Jahr 1896. Die Menschen brauchen Wohnungen, aber darauf müssen sie lange warten. Weit mehr als 130 000 Wohnungen fehlen um 1900 in der ganzen Stadt. Abhilfe schafft erst das Wohnungsbauprogramm der republikanischen Regierung, das ab 1924 mit Hilfe einer Hauszinssteuer umgesetzt werden kann.

 

In diesem Zusammenhang entsteht die Wohnstadt Carl Legien, errichtet Bruno Taut Wohnblöcke in der Conrad-Blenkle- und Rudi-Arndt-Straße (1926/27) und in der Heinz-Bartsch- und Paul-Heyse-Straße (1926/27). Mit Franz Hoffmann plant Taut die Wohnanlage in der Grellstraße (1927/28), dicht am S-Bahnhof Greifswalder Straße.

Wo immer möglich erwerben die Baugenossenschaften Baugrund. Die Bodenpreise sind auch in den Außenbezirken so angestiegen, dass auf geräumige Außenflächen verzichtet werden muss. Reihenhausbauweise ist ausgeschlossen.

 

Blau, rot, grün leuchten die Hofwände

Bruno Taut errichtet in der Wohnstadt Carl Legien fünfgeschossige Wohnblöcke mit Ladenpassage, Einzelläden, Leihbücherei und zwei Waschhäusern. Taut variiert die Blockrandbebauung. Drei mal öffnen sich dreiseitig geschlossene Höfe, die sich an der Erich-Weinert-Straße paarweise gegenüberstehen. Blau, rot, grün leuchten die Hofwände, die straßenseitigen Fassaden halten sich in blassem Gelb zurück. Flachdächer, Lauben, Balkons und die Farben charakterisieren die Siedlung. Sparsamkeit in jeder Hinsicht regiert als Gestaltungsmittel.

Die kompakte Bauweise erinnert – nicht zufällig – an die Wohnbauten von Jacobus Johannes Pieter Oud in Rotterdam. Dennoch wirken die Blöcke leicht und hell, strahlen Heiterkeit und Transparenz aus. Höhepunkte der einheitlichen Gestaltung sind die gerundeten Balkons, die die Eckwohnungen zur Erich-Weinert-Straße umziehen.

 

Die Grundrisse garantieren höchstmögliche Ausnutzung der Fläche bei hohem Wohnkomfort. Die Menschen wohnen immer noch gern hier. Einige sind ganz bewusst hierher gezogen, glücklich, eine der begehrten und für Berliner Verhältnisse nicht ganz billigen Wohnungen bekommen zu haben, die Bruno Taut baute. Sie erzählen begeistert von den Durchsichten, die die Lage der Fenster ermöglichen, und scheinen den Streit um die Neugestaltung, besser gesagt: die Restaurierung der begrünten Höfe fast vergessen zu haben.

Die Wohnstadt Carl Legien steht seit 1977 unter Denkmalschutz. 1992 beginnt das Büro Winfried Brenne Architekten mit der Bestandsaufnahme und Ermittlung des originalen Zustandes. Diese erste Phase eines denkmalpflegerischen Pilotprojektes unterstützt die Deutsche Stiftung Denkmalschutz. Die Keimschen Mineralfarben mit ihrer unvergleichlichen Farbintensivität werden immer noch hergestellt und verwendet. Da kann der Aufnahme in das Welterbe der UNESCO nichts mehr im Weg stehen.

 

... ein Gefühl der Wohnlichkeit und Behaglichkeit

Bruno Taut hatte das Problem des Wohnumfeldes erkannt. Seine ökologische Sensibilität wird heute noch gelobt. Die außergewöhnliche ethische Motivation des Architekten führte ihn zur Gestaltung lebenspraktischer Räume, innen wie außen. Er prägte den Begriff des Außenwohnraums und maß ihm die gleiche Bedeutung zu wie der innenliegenden Wohnung.

„Wir sind der Meinung, daß die unmittelbare Umgebung der Wohnung für die Wohnung selber von größter Bedeutung ist, den Wohnwert erhöhen oder vermindern kann. Wenn also das Gefüge der eigentlichen Räume der Wohnung ein Gefühl der Wohnlichkeit und Behaglichkeit vermitteln kann, so gilt das in gleichem Maße von dem Außenwohnraum."

 

Gerhild H. M. Komander

 

Die Wohnstadt Carl Legien können Sie auch bei einer Architekturführung in Berlin kennenlernen:

Die Stadtführung zur Wohnstadt Carl Legien und die Weltkulturerbe-Fahrradtour

 

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