Boateng PankstrHertha

Berlin 1892: Die englische Mode grassiert und vier Weddinger Jungs gründen einen Fußballverein

 

Die alten Augen eines Mannes jenseits der Achtzig beginnen zu strahlen, wird er nach der Plumpe gefragt. Altberliner Fußballfreunden gilt sie als Synonym für das Stadion der Herthaner. Und das lag am Gesundbrunnen - neben den S-Bahngleisen, unterhalb der Swinemünder Brücke. Das Hertha-Domizil, dort wo die Jülicher Straße auf die Behmstraße stößt, hat bessere Tage gesehen. Der einstige Schaukelplatz der Emotionen, das Stadion von Hertha BSC, ist verschwunden.

hertha1Von den triumphalen Siegen in den zwanziger Jahren und den politischen Demonstrationen in der Nachkriegszeit blieb nichts. Eintönige Wohnblöcke bedecken das gesamte Gelände. Der Bildhauer Michael Schoenholz übertrug die konfliktreiche Zeit der letzten Jahre der Herthaner am Gesundbrunnen in eine Bronzeskulptur, die 1978 vor den Neubauten an der Bellermann- Ecke Behmstraße aufgestellt wurde: Ein zerfetzter Fußball erinnert an das unrühmliche Ende der Hertha-Ära.

 

Berlin 1892: Die englische Mode grassiert

Als vier Weddinger Fußballer 1892 im Zuge der grassierenden englischen Mode den Berliner Fußballclub Hertha gründeten, stießen sie erst einmal auf Skepsis: Nackte Arme und nackte Beine in aller Öffentlichkeit kannte man auch im Wedding nicht. Der Grobheit im Spielablauf wegen bezeichnete man die neue Sportart als Kampfsport. Um spielen zu können, brauchten die Fußballanhänger ein Spielfeld - das gewährte das Militär. So nutzte Hertha zunächst den Exer, den Exerzierplatz an der Schönhauser Allee in Berlins Mitte.

hertha4Den ersten Platz an der Plumpe bezog Hertha 1904 auf der linken Seite der Behmstraße. Hier hatte Joseph Schebera um die Jahrhundertwende einen Fußballplatz eingezäunt und 1902 den Sportlern auch ein Sportheim zur Verfügung gestellt. Das „Gebäude für Sportvereine" besaß Umkleide- und Sitzungsräume.

 

Auch die umliegenden Lokale gingen auf die Mode ein und stellten den Fußballspielern ihre Gasträume zur Verfügung. „Reichhaltige Küche" und „gutgepflegte Biere" bot der „Treffpunkt aller Herthaner", wie sich das Restaurant zur Klause in der Badstraße 57 nannte. Der Schebera-Platz wurde das Fußball-Zentrum im Berliner Norden. Hertha und die folgenden Vereine verdankten Schebera viel, fanden doch in den armen Bezirken Berlins die Fußballspieler keinerlei Unterstützung. Wohlhabende Mitglieder waren im Wedding nicht zu gewinnen.

 

Hertha wird Berliner Meister

Bei Schebera konnte Hertha durch Eintrittsgelder etwas verdienen. Mit den ersten großen Erfolgen stiegen die Zuschauerzahlen rasant. 1905/06 wurde Hertha Berliner Meister. 1910 siegte die Mannschaft gegen Southend United England, ein legendärer Sieg, weil Hertha als erste Fußballmannschaft des Kontinents eine englische Profimannschaft besiegt hatte. So wurde die Plumpe der Fußballort Nummer eins für ganz Berlin.

Mit dem Verein Norden-Nordwest trat 1920 für eine Zeit ein ernst zu nehmender Konkurrent an. Norden-Nordwest war wohlhabender und machte das bessere Spiel. Er übernahm den Schebera-Platz und erbaute 1924 ein eigenes Kasino an der Ecke Behmstraße und Jülicher Straße. Es wurde nach dem Zweiten Weltkrieg das Hertha-Domizil. Hertha war derweil auf der Hut gewesen.

 

Wieso Hertha B.S.C.?

Auf der anderen Seite der Behmstraße hatte der Berliner Sport-Club (B.S.C.) die frühere Eisbahn Scheberas erworben. Mit diesem Verein fusionierte Hertha am 7. April 1923 zu Hertha B.S.C. und besaß somit wieder einen eigenen Platz, das heißt, der Platz musste erst gebaut werden. Zuerst entstand die 110 Meter lange, teilüberdachte Zuschauertribüne parallel zur Behmstraße. 1926/27 folgten, einander gegenüberliegend, der „Zauberberg" und der „Uhrenberg", steil ansteigende Stehtribünen, wodurch sich die offizielle Zuschauerkapazität auf 35 239 Plätze erhöhte.

Zu der Begeisterung für Hertha trugen wesentlich Hanne Sobek und Hanne Ruch bei, die 1924/25 in die Mannschaft eintraten. An Hanne Sobek, den mehrfachen Nationalspieler, erinnert der gleichnamige Sportplatz am Louise-Schroeder-Platz, wo ihn auch eine Ehrentafel würdigt.
Als Hertha 1930 Deutscher Meister wurde, fand der Jubel kein Ende. Wohl kaum ein Verein, auf den im Freudentaumel so viele Gedichte geschrieben worden sind.


      Gruß an die Plumpe

     Ich denke jetzt so oft, wie icke
     In bester Sonntagsjarnitur -
     Von innen und von außen schnieke -
     Zum Fußball an die Plumpe fuhr ...

     Ick bin am Wedding jroß geworden
     Und war in Hertha schon vaknallt
     Als unsre Meisterelf im Norden
     Der Hauptstadt für unschlagbar jalt.

     Als es denn nich mehr so recht wollte,
     Da wurde auch das Siegen schwer,
     Ohne daß ick ihr deshalb jrollte -
     Ick bin derselbe ooch nich mehr!

     Ick würde sonst wat darum jeben -
     Mein' janzen Wehrsold jäb ick hin -
     Soo'n Fußball-Wettspiel zu aleben,
     Nur so hat doch een Sonntag Sinn.

     Wo ick mit meine Zuckaschnecke
     Vajnülich am Jesundbrunn'n steh'
     Und meine lange Neese recke,
     Det ick ja allet richtich seh! -

     Der Plumpe halte ick die Treue,
     Sojar hier draußen an der Front.
     Und Ihr jlobt nich, wie ick mir freue,
     Daß diese Zeit mal wiederkommt!

Das Gedicht eines Front-Soldaten druckte die Jubiläumsschrift zum 50. Geburtstag des Vereins ab.

 

hertha6Die Meisterelf begeistert ihr Publikum

Selbst in Zeiten großer politischer Bedrängnis und drückender sozialer Not durch die hohe Arbeitslosigkeit stammte der größte Teil der Besucher aus den ärmsten Straßen Berlins. Auf den Tribünen der „Meisterelf" aber traf sich letztlich die gesamte Bevölkerung: Bürgerliche und Arbeiter, Sozialisten, Kommunisten, Liberale und Monarchisten jubelten entfesselt und fasziniert den Mannschaften zu.

Die Gleichschaltung des Vereinswesens unter den Nationalsozialisten konnte der Fußballbegeisterung nichts anhaben, sie ließ selbst nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs nicht nach.

hertha3Dem Jubel ein Ende bereiteten erst die Bombenabwürfe, durch die das Stadion im April 1945 zerstört wurde. Die wichtigsten Ereignisse auf dem Platz nach 1945 waren politischer Natur.
Anlässlich der Berlin-Blockade 1948/49 folgten 80 000 Menschen dem Aufruf der SPD zu einer „Demonstration der Freiheit" auf dem Hertha-Sportplatz. Oberbürgermeister Ernst Reuter und der Berliner SPD-Abgeordnete Franz Neumann sprachen.

 

... gegen die „nackte und klare Diktatur"

Reuter setzte die Sowjet-Regierung mit der nationalsozialistischen Regierung gleich, indem er davon sprach, dass die „Sklaverei", die Berlin unter Hitler erlebt habe, sich nicht wiederholen dürfe und werde. Er rief die Bevölkerung der Stadt auf, ihre Stimme vor der ganzen Welt gegen die „nackte und klare Diktatur" im Osten zu erheben. Der Ort, das Hertha-Stadion, war bewusst ausgewählt worden: Er lag direkt an der Grenze zum sowjetischen Sektor Berlins. Die Lautsprecher trugen Reuters Worte bis in den benachbarten Prenzlauer Berg.
1950 erhielten die Herthaner als „nicht-politische Organisation" ihren Platz zurück. Die Zuschauerzahlen waren geringer, die Erfolge wurden seltener. Die besten Jahre waren Vergangenheit.

 

hertha2Abschied vom Wedding

Die Einführung der Bundesliga 1963 machte die Plumpe überflüssig: Das Olympia-Stadion wurde ständiger Spielort. Bevor die Abrissbagger Uhrenberg und Zauberberg abräumten, gab die Hertha-Mannschaft am 22. November 1974 zum Abschied ein letztes Spiel auf dem Platz, der nicht nur für die Zeitgenossen „mehr war als nur ein Fußballplatz".

 

Hanne Sobek verhalf so manchem Jungen zum Erfolg mit einfachen Worten wie: „Junge, wenn Du für Deine Mutter einkaufen gehst: Immer im Dauerlauf!" Der Herthaner Arne Friedrich nahm als deutscher Nationalspieler im Sommer 2006 an der Fußball-Weltmeisterschaft teil.

„Hertha", das Schiff von 1892, liegt noch in einem Schuppen in Wusterhausen/Mark, erzählt Wolfgang Holtz.

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Gerhild H. M: Komander 2001/2014

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