Fundstücke der Berliner Geschichte

Der König grüßt die Berliner

Friedrich II. reitet durch Berlin

 

Am 21. Mai 1785 – erzählt der General von der Marwitz* – sah ich den König von der Revue zurückkommen. Er ritt ein großes weißes Pferd, ohne Zweifel den alten Condé, denn er hatte seit dem Bayrischen Erbfolgekrieg beinahe kein andres Pferd mehr geritten. Sein Anzug war wie früher auf der Reise, nur daß der Hut ein wenig besser war, ordentlich aufgeschlagen und mit der Spitze nach vorn, echt militärisch aufgesetzt. Hinter ihm waren eine Menge Generale, dann die Adjutanten, endlich die Reitknechte. Das ganze Rundteil (der jetzige Belle-Alliance-Platz)* und die Wilhelmstraße waren gedrückt voller Menschen, alle Fenster besetzt, alle Häupter entblößt, überall das tiefste Schweigen und auf allen Gesichtern ein Ausdruck von Ehrfurcht und Vertrauen wie zu dem gerechten Lenker aller Schicksale.

 

Der König ritt ganz allein vorn und grüßte, indem er fortwährend den Hut abnahm. Er beobachtete dabei eine merkwürdige Stufenfolge, je nachdem die aus den Fenstern sich verneigenden Zuschauer es ihm zu verdienen dünkten. Bald lüftete er den Hut nur ein wenig; bald nahm er ihn vom Haupte und hielt ihn eine Zeit lang neben diesem; bald senkte er ihn bis zur Höhe des Ellenbogens herab. Aber diese Bewegung dauerte an, und sowie er sich bedeckt hatte, sah er schon wieder andre Leute und nahm den Hut von neuem ab. Er hat ihn vom Hallischen Tor bis zur Kochstraße gewiß zweihundertmal abgenommen.

 

Durch dieses ehrfurchtsvolle Schweigen tönte nur der Hufschlag der Pferde und das Geschrei der Berliner Gassenjungen, die vor ihm hertanzten, jauchzten, die Hüte in die Luft warfen oder neben ihm hersprangen und ihm den Staub von den Stiefeln wischten. Beim Palast der Prinzessin Amalie in der Wilhelmstraße* angekommen, war die Menge noch dichter, denn dort erwartete sie den König. Der Vorhof war gedrängt voll, doch in der Mitte, ohne Anwesenheit irgendeiner Polizei, geräumiger Platz für ihn und seine Begleiter.

Er lenkte in den Hof hinein. Die Flügeltüren gingen auf, und die alte lahme Prinzessin, auf zwei Damen gestützt, die Oberhofmeisterin hinter ihr, wankte die flachen Stiegen hinab, ihm entgegen. So wie er sie gewahr wurde, setzte er sich in Galopp, hielt, sprang rasch vom Pferd, zog den Hut, umarmte sie, bot ihr den Arm und führte sie die Treppe wieder hinauf. Die Flügeltüren gingen zu. Alles war verschwunden, und noch stand die Menge, entblößten Hauptes, schweigend, aller Augen auf den Fleck gerichtet, wo der König verschwunden war, und es dauerte eine Weile, bis ein jeder wieder ruhig seines Weges ging.

 

Und doch war nichts geschehen. Nein, nur ein dreiundsiebzigjähriger Mann, schlecht gekleidet, staubbedeckt, kehrte von seinem mühsamen Tagewerk zurück. Aber jedermann wußte, daß dieser Alte auch für ihn arbeite, daß er sein ganzes Leben an diese Arbeit gesetzt und sie seit fünfundvierzig Jahren noch nicht einen einzigen Tag versäumt hatte.

 

Aus:

Anekdoten von Friedrich dem Großen, eingeleitet von Reinhold Schneider, Leipzig: Insel-Verlag ohne Jahr (dreißiger Jahre)

 

***

 

* Friedrich August Ludwig von der Marwitz (1777 – 1837) erzählte die Geschichte, die in die Flut von Anekdoten um Friedrich II. einging. In Theodor Fontanes Wanderungen durch die Mark Brandenburg, Oderland, wird sie wiederholt. – Das Rondell in der Friedrichstraße erhielt 1815 den Namen Belle-Alliance-Platz, 1947 den Namen Mehringplatz. - Der Palast der Prinzessin Amalie war die Sommerresidenz der Schwester Friedrichs des Großen. Sie lag in der Wilhelmstraße 102. Das Palais baute Karl Friedrich Schinkel 1830 für den Prinzen Albrecht um. 1934 zogen die Nationalsozialisten ein: Der Sicherheitsdienst des Reichsführers der SS nutzte es für das SD-Hauptamt und als Dienstsitz des Chefs der Sicherheitspolizei Reinhard Heydrich. Seit 1987 liegt dort ein Teil der Gedenkstätte Topographie des Terrors. - gk -

 

Der Text erschien zuerst im "Berliner Lindenblatt", April 2007.

 

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