FannyHensel 100Künstlerinnen Schriftstellerinnen Revolutionärinnen - Frauen um Fanny Hensel 

Was haben Bettina von Arnim, Louise Aston, Lea Mendelssohn Bartholdy, Amalie Beer, Angelika Kaufmann, Fanny Lewald, Dorothea Schlegel, Dorothea Schlözer, Anna Dorothea Therbusch, Elisabeth Vigée Lebrun und Sophie Marie Gräfin Voß gemeinsam?

 

Sie waren Zeitgenossinnen Fanny Hensels. Die Lebensläufe dieser Frauen bieten eine allgemeine Vorbildfunktion: Die Aufforderung an Frauen und Männer, die eigenen Kompetenzen und Wirkungsmöglichkeiten der Gesellschaft zur Verfügung zu stellen und damit die gesellschaftliche Entwicklung in die Richtung weiterzuführen, deren Ziel gleiche Chancen und Bedingungen für Jungen und Mädchen, für Männer und Frauen heißt.

 

Berauschendes Berlin, entdeckt von einer jungen Frau aus der Provinz

Im Jahre 1832 reist eine junge Frau in Begleitung ihres Vaters von Königsberg aus an Rhein und Neckar. Eine ihrer Stationen auf dem Weg ist Berlin.

„Am Morgen des neunzehnten April kamen wir in aller Frühe in Berlin an. Schon die Vorstädte hatten mir einen großstädtischen Eindruck gemacht, und die Frankfurter Linden, der Alexanderplatz, die Königstraße, die Kurfürstenbrücke setzten mich mehr und mehr in Erstaunen.
[Frankfurter Linden = Frankfurter Allee; Königstraße = Rathausstraße]

Ich dachte nicht daran, daß ich drei Nächte nicht im Bette gewesen, ich fühlte nicht die leiseste Müdigkeit und war äußerst betrübt darüber, als mein Vater mir befahl, mich schlafen zu legen, nachdem wir unsere Zimmer im Hotel de Portugal in der Burgstraße eingenommen hatten. Ich versicherte, daß ich kein Auge schließen würde, denn die Sonne stand – es war sechs Uhr morgens – hell am Himmel, und ich war äußerst aufgeregt; aber die Natur machte ihr Recht doch geltend, und ich hatte einige Stunden vortrefflich geschlafen, als ich mit dem höchsten Glücksgefühl erwachte und mich nun ganz sicher und gewiß in Berlin befand.

Es schien mir, als fange das Leben erst jetzt für mich an, als liege die ganze Welt nun offen vor mir da, als müsse mir nun gleich das Beste und Allerschönste begegnen, und als ich mich dann mit meinem für die Reise angeschafften Negligée, einem Foulard [Tuch aus indischer Seide], Rock und einer kleinen Haube mit rosa Bändern in das Fenster legte, um mit verwunderten Augen das altertümlich prächtige Schloß und die Statue des großen Kurfürsten anzustaunen, da war ich in meinem Herzen überzeugt, Berlin müsse mich ebenso bezaubernd finden, als es mir erschien.

Ich hätte mich gar nicht gewundert, wenn drüben an dem Fenster des Schlosses irgendein vornehmer und schöner junger Mann gestanden und sich augenblicklich in mich verliebt hätte."

Nun, mit den schönen jungen Männern sollte die Reisende wenig Glück haben, aber sie entdeckte auf dieser Reise etwas anderes, etwas Bleibendes.

„Aus dem heißen Frühlingstage, aus dem Lärm der Straße traten wir durch den damals noch unbemalten und darum ruhigen Säulengang in die kühle, stille, von oben beleuchtete Rotunde der Antiken-Galerie ein. Ich hatte nie ein edles Bauwerk, nie ein Werk der Plastik gesehn, und es war mir, als werde ich plötzlich in eine andere Welt, in eine Welt versetzt, von der ich in unklaren Ahnungen wie von einer fernen Heimat geträumt hatte. Ich wußte nicht, wie mir geschah, ich hätte nicht sagen können, was ich dachte; aber die Tränen kamen mir in die Augen, ich mußte die Hände falten, und ich konnte mich nur durch den Gedanken an die Anwesenheit meines Vaters davon zurückhalten, niederzuknien vor Entzücken. (...)

Ich empfand, daß für mich etwas auf der Welt vorhanden sei, das höher stehe als alles mich zufällig Berührende und Verletzende. Mochte ich den Menschen gefallen oder nicht, mochte ich mich verheiraten oder nicht, mochte ich abhängig oder frei sein, mochte man mich gütig oder kalt empfangen: das Schöne war vorhanden auf der Welt, und ich konnte es genießen!"

Was ist das Besondere an dieser Darstellung? Ist sie etwas Besonderes?

 

 

FANNY LEWALD

Die junge Frau, die im Jahre 1832 mit ihrem Vater nach Berlin reiste, war Fanny Lewald, geboren 1811 in Königsberg. Fanny Lewald ist keine Unbekannte, unter den vielen Frauen ihrer Zeit, sondern zählte schon zu Lebzeiten zu den populärsten Schriftstellerinnen und Frauenrechtlerinnen des 19. Jahrhunderts. 1832 darf sie die Heimatstadt Königsberg zum ersten Mal verlassen, mit dem Vater, der hofft, sie endlich „unter die Haube zu bringen". Das ist der Grund dafür, daß er die 21jährige Tochter mit nimmt.

Fanny Lewald ist nicht grundsätzlich gegen die Ehe, das betont sie auch später rückblickend in ihren Lebenserinnerungen. Doch sie möchte aus Zuneigung und Liebe heiraten. Und sie möchte dabei selbständig sein und bleiben. Diese Freiheit, nach der sie sich als junges Mädchen schon sehnt, spürt sie in Berlin. Das ist kein Kompliment an die Stadt, das ist Wahrheit. Die Begegnung mit der antiken Kunst und deren naturalistischen Menschendarstellung erscheint ihr als Befreiung, dem Vater dagegen ist sie peinlich und ein Greuel.

Erst 1844/45 erhält Fanny Lewald die Erlaubnis des Vaters, ein eigenständiges Leben zu führen. Da ist sie 34 Jahre alt. Die Weigerung der Tochter, einen ungeliebten Mann zu heiraten, hatte er hingenommen, ihren Wunsch, außerhalb der Familie zu leben, jedoch nicht erfüllt. Wie ist es möglich, daß eine Frau in diesem Alter in derartiger väterlicher Abhängigkeit lebt?

 

 

DAS 18. JAHRHUNDERT - DAS JAHRHUNDERT DER MALERINNEN

Ich blicke zurück und führe Sie in das 18. Jahrhundert.
Es wird auch als das „Jahrhundert der Frauen" bezeichnet.
Zumindest den Frauen der Oberschicht wurde das Recht auf Selbstentfaltung, auf Bildung eingeräumt.

Im Salon, den Catherine de Vivonne Marquise de Rambouillet (1588-1665) und Ninon de Lenclos in Paris erdacht hatten, bot sich Frauen der privilegierten Elite seit der Mitte des 17. Jahrhunderts die Möglichkeit „im geselligen Umgang mit Dichtern, Philosophen und Gelehrten die geschlechtsspezifischen Bildungsdefizite abzubauen und sich den Weg zur literarischen Mündigkeit zu bahnen." Diese ersten Begegnungen von adligen und bürgerlichen Frauen im Preziösentum nahmen die Entwürfe der Aufklärung aus weiblicher Perspektive vorweg.

 

Die Salonnièren etablierten in Frankreich erstmals in Europa eine Gegenöffentlichkeit zum politischen und kulturellen Konservatismus des absolutistischen Staates. Frauen entwickelten den Briefwechsel zu einem Kommunikationsmedium und zu weiblichem Selbstausdruck. Als Les Femmes de Lettres bezeichnete man sie.

Neben den Gesellschaften der Salons, die sich Mitte des 18. Jahrhunderts auch in England bildeten, gab es seit Ende des 17. Jahrhunderts eine auffallend große Zahl von politisch und kulturell einflußreichen Frauen. Kurfürstin Sophie von Hannover, Jeanne Antoinette Poisson Marquise de Pompadour (1721-1764), Anna Amalie Prinzessin von Preußen nenne ich stellvertretend, ebenso die Malerinnen Anna Dorothea Therbusch (1721-82), Rosalba Carriera, Elisabeth Vigée Lebrun und Angelika Kaufmann sowie die Mathematikerin, Physikerin, Philosophin und Newton-Übersetzerin Gabrielle-Émile Le Tonnelier de Breteuil Marquise du Châtelet (1706-1749).

 

 

ANNA DOROTHEA THERBUSCH

Anna Dorothea Therbusch (1721-82) kam als erste Malerin in Berlin und Preußen zu Erfolg und Ansehen. Ihre Ausbildung erhielt sie beim Vater, Georg Lisiewska. Nach ersten Erfolgen am württenbergischen Hof widmete sie sich bis Anfang der sechziger Jahre ihrer Familie. Dann ging sie nach Stuttgart, erhielt in Mannheim die Position einer kurpfälzischen Hofmalerin, reiste nach Paris und kehrte 1769 als Mitglied der französischen Akademie nach Berlin zurück, wurde hier Hofmalerin und begehrte Porträtistin. Ihre selbstbewußten Porträts brauchen den Vergleich mit Anton Graff und Johann Heinrich Wilhelm Tischbein nicht zu scheuen.

Doch verlief ihre Karriere aus geschlechtsspezifischen Gründen keineswegs gradlinig. In Paris wurde ihr Werk zunächst abgelehnt. Die Akademiemitglieder hielten es für eine Täuschung, denn es war zu gut gelungen, als daß es von einer Frau hätte stammen können. Denis Diderot, der große Aufklärer, verspottete die Malerin ihrer Freizügigkeit wegen: Anna Dorothea Therbusch hatte sich erlaubt, wie ihre männlichen Kollegen männliche Akte zu zeichnen und zu malen. Die freie Haltung ihrer Selbstbildnisse spiegelt das Selbstvertrauen der Künstlerin wider, die es wagte, sich – letztlich erfolgreich - mit den männlichen Kollegen in Frankreich zu messen.

Selbstverständlich war es nicht gewesen, daß Anna Dorothea Therbusch ihre Ausbildung durch den Vater erhielt. Es blieb jedoch auch kein Einzelfall in Berlin. Daniel Chodowiecki, der seine Töchter ebenfalls unterrichtete und in Berlin erfolgreiche Künstlerinnen heranbildete, berichtete lachend über die große Zahl williger junger Frauen, die ihm seine Töchter als Schülerinnen zuführten.

 

Suzette Chodowiecka (1763-1819), verheiratete Henry, hatte als Malerin großen Erfolg mit ihren moralisierenden Bildfolgen zur Ehe und zu weiblichen Beschäftigungen, die als Kupferstiche in den damals beliebten Frauen-Almanachen erschienen. Sie propagierte darin ein braves, häusliches Weiblichkeitsideal, dem sie selbst durch ihre Erwerbstätigkeit nicht entsprach. Als sie 1789 als ordentliches Mitglied in die Akademie der Künste zu Berlin aufgenommen wurde, war sie eine der wenigen Frauen, die diesen Status erreichten.

Die gleiche Würdigung erreichte vierzig Jahre später ihre Schwiegertochter Louise Henry, die ihre Ausbildung bei einer Frau erhalten hatte: Félicité Henriette Robert (1766-1818), geborene Tassaert. Auch sie war vom Vater künstlerisch unterrichtet worden, dem Hofbildhauer Friedrichs II., Jean Pierre Antoine Tassaert. Die Malerin Robert erfuhr große Unterstützung durch Daniel Chodowiecki und erreichte 1787 die Aufnahme als Ehrenmitglied in die Akademie der Künste zu Berlin.

 

Georg Lisiewski hatte auch seine ältere Tochter Anna Rosina im Malen unterrichtet. Anna Rosina (1713-1793) heiratete in zweiter Ehe Ludwig de Gasc, einen Freund Gotthold Ephraim Lessings. Die Malerin war von 1756 an etwa zehn Jahre in Zerbst tätig und erhielt dann einen Ruf an den herzoglichen Hof in Braunschweig, wo Philippine Charlotte, die Schwester Friedrichs II., neuen Strömungen in Kunst und Literatur gegenüber aufgeschlossen, residierte. Durch die Herzogin erfuhr die Künstlerin großzügige Förderung.

Bekannter als die Berliner Malerinnen sind heute zwei andere Zeitgenossinnen Anna Dorothea Therbuschs: Angelika Kauffmann (1741-1807) und Elisabeth Vigée Lebrun (1755-1842), auch sie ausgebildet durch den Vater. Weil Mädchen in dieser Zeit nicht dazu bestimmt sind, in eine Lehre zu gehen, sondern für eine Familie zu sorgen, können sie eine Ausbildung als Künstlerin nur erfahren, indem sie in die familieneigene Werkstatt hineinwachsen. Aber die Töchter werden in vielen Fällen berühmter als ihre Väter.

Das gilt auf jeden Fall für die Malerinnen Therbusch, Vigée Lebrun. Keine von ihnen durfte an einer Akademie studieren, auch in Berlin nicht, aber alle erreichten die Mitgliedschaft in mindestens einer dieser hoch angesehenen, jedoch in der Regel Männern vorbehaltenen Lehrstätten.

 

 

ANGELIKA KAUFFMANN

Angelika Kauffmann (1741-1807) erreichte die Mitgliedschaften der Akademien von Rom, Florenz und Bologna. Im katholischen Italien war man der weiblichen Künstlerschaft gegenüber großzügiger eingestellt. Aber auch in England erwarb sie sich schnellen Ruhm: „The whole world is angelicamad", schrieb der dänische Botschafter 1781 an Klopstock. 1768 hatte sie als einzige Frau die Royal Academy in London mitbegründet.

Von 1782 bis zu ihrem Tod (1807) lebte sie in Rom. Angebote einer gesicherten Stelle als Hofmalerin lehnte sie ab. Weltbekannt wurde sie zu Lebzeiten durch ihr umfangreiches malerisches Werk (ca. 1500 Ölgemälde, Zeichnungen, Radierungen). Sie führte in London und Rom neben ihren unablässigen Auftragsarbeiten ein offenes Haus, ihre Begeisterung für Literatur und Musik wurde gerühmt. Ab 1788 hing ihr Selbstporträt in der florentinischen Galerie der Künstlerbildnisse direkt neben dem Michelangelos.

Ihr eigentliches Interesse galt der Historienmalerei - ein damals für Frauen unübliches Genre, denn Männer waren der Ansicht, Frauen eigneten sich besonders für Porträtmalerei aufgrund ihrer weiblichen Intuition, mit Hilfe derer sie die Persönlichkeit ihres Gegenübers besser zu fassen vermochten. Die Historienmalerei hingegen galt als das höchste Genre an den Akademien und war selbstverständlich den Männern vorbehalten.

Angelika Kaufmann nutzte sehr bewußt die ihr als Frau zugestandenen Möglichkeiten. Ihr unermüdlicher Fleiß, ihre bewußt für ihr Publikum ausgewählten Motive und Themen sowie zahlreiche Nachstiche ihrer Werke, die die Künstlerin selbst in Auftrag gab, steigerten ihre Popularität in einem bis dahin nie dagewesenem Maße.

 

ELISABETH VIGÉE LE BRUN

Elisabeth Vigée LeBrun (1755-1842) erregte bereits als jugendliche Aufsehen mit ihren Gemälden. Ihre Frauenporträts und Bildnisse berühmter Männer verschafften ihr schnellen Zutritt zu höfischen Kreisen.

Als Hofmalerin des französischen Königs erfuhr sie die direkte Förderung der Königin Marie Antoinette, von der sie mehr als zwanzig unvergleichliche Bildnisse schuf. Die Königin revanchierte sich, indem sie Vigée LeBrun in die Académie Française rufen ließ. Die revolutionären Ereignisse in Frankreich zwangen sie für Jahre auf Reisen zu gehen. Doch war die Wanderung durch Europa für sie nicht besonders problematisch, war sie doch an den Höfen in Berlin, St. Petersburg, Wien und in Rom willkommen.

Zahlreiche Ehrenmitgliedschaften auswärtiger Akademien wurden ihr in den zwölf Jahren ihres Exils angetragen. Sie hinterließ weit mehr als 600 Porträts und 200 Landschaftsbilder, die in den besten Museen Europas und in den USA ausgestellt werden. Ihre Souvenirs, die Lebenserinnerungen in drei Bänden, erschienen ab 1835 und danach in zahlreichen Neuauflagen.

Wie Anna Dorothea Therbusch und Angelika Kauffmann stellte sich die Künstlerin immer wieder selbst in der Ausübung ihrer Profession dar, um der Welt und insbesondere den männlichen Kollegen vor Augen zu führen, daß sie ihre Gemälde tatsächlich selbst schuf, daß sie Malerin war.

 

 

DOROTHEA SCHLÖZER

Wissenschaftlerinnen waren anders als Künstlerinnen auch im 18. Jahrhundert geradezu eine Rarität. Wohlwissend zu welchen herausragenden geistigen Leistungen Frauen fähig waren, ignorierte die Männerwelt das weibliche Begehren auf höhere Bildung. Gabrielle-Émile Le Tonnelier de Breteuil Marquise du Châtelet (1706-1749), die sich – obwohl verheiratet - Voltaire zum Geliebten nahm, übersetzte mühelos Newtons Schriften. Ein Studium an der Universität erstrebte sie nicht, sondern leistete sich als adlige und vermögende Frau das Dasein einer Privatgelehrten. Ihr Schloß Cirey entwickelte sich zum Zentrum newtonscher Wissenschaft.

Die Marquise du Châtelet starb 1749 mit 43 Jahren nach der Geburt ihrer Tochter am Kindbettfieber.

Fünf Jahre später – 1754 - verfügte Friedrich II., daß Dorothea Erxleben als erster deutscher Frau der Doktortitel verliehen werden dürfe. Dorotheas Vater hatte sie in Latein und Heilkunde unterrichtet. War er abwesend, leitete die Tochter die väterliche Praxis. Schon 1741 hatte der König die außerordentliche Erlaubnis erteilt, die Dorothea aber durch familiäre Ereignisse nicht hatte wahrnehmen können. Sie bestand ihr medizinisches Examen mit „summa cum laude".

 

Das 18. Jahrhundert kennt eine weitere promovierte deutsche Frau:
Dorothea Schlözer (1770-1825). Ihr Doktortitel in Philosophie, den ihr die Universität zu Göttingen 1787 verlieh, war das Ergebnis eines väterlichen Experimentes.

August Ludwig Schlözer, Professor an der Göttinger Universität und einer der wirkungsmächtigsten Publizisten der Aufklärung, hatte seine Tochter seit deren vierten Lebensjahr dahingehend unterrichtet, daß sie einmal als Beweis seiner Auffassung, daß Frauen bildungsfähig seien, gelten könnte. Und die Tochter betont in ihrem Lebenslauf, dem sie dem Dekan der philosophischen Fakultät Johannes David Michaelis vorlegte, daß sie trotz ihrer intensiven Studien es nie versäumt habe, die „eigentlichen weiblichen Geschäfte" auszuüben.

 

Wie im Falle der bestaunten und belächelten Dorothea Erxleben wurde Dorothea Schlözers Porträt in zahlreichen Kupferstichen verbreitet, da die Zeitgenossen das Bildnis dieser kuriosen Person kennenlernen wollten.

Eine ihren geistigen Fähigkeiten entsprechende Berufstätigkeit strebten weder Vater noch Tochter an. 1792 heiratete Dorothea Schlözer den wohlhabenden Lübecker Kaufmann Mattheus Rodde. Es entwickelte sich eine gute, glückliche Ehe, da Rodde ein liebenswürdiger und weltläufiger Mann war, und die Eheleute sich in freier Wahl einander verbunden hatten. Rodde stieg 1806 zum Bürgermeister der Hansestadt auf. Das Familienhaus wurde zum gesellschaftlichen und geistigen Mittelpunkt Lübecks, in dem sich Künstler und Literaten trafen.

Die genannten Künstlerinnen und Wissenschaftlerinnen bilden nur die Spitze des Eisberges. Zahlreiche weitere Frauen waren im 18. Jahrhundert in verschiedenen Bereichen künstlerisch, wissenschaftlich, caritativ und politisch tätig und berufstätig. So beschreibt Patricia Fara in ihrem Buch: „Pandora's Breeches – Women, Science & Power in the Enligthenment" (London 2005), daß „ohne Frauen die Wissenschaft irgendwann zum Stillstand gekommen wäre." Sie wurden aus der Geschichtsschreibung einfach ausgespart. Ebenso erging es Frauen der anderen Berufsgruppen.

Bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts erschienen Bildung und Erwerbstätigkeit für Frauen als eine konsequente Fortführung der durch die Maximen der Aufklärung verbreiteten Ideale von Freiheit und Gleichheit aller Menschen. Hatten etliche männliche Vertreter dieses Ideals nie daran gedacht, daß die Frauen sie beim Wort nehmen würden?

 

 

FEMME PHILOSOPHE - BLAUSTRUMPG - GELEHRTE

In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts jedenfalls vollzog sich der Funktionsverlust des „ganzen Hauses": Die Aufwertung der Familie als Hort der Menschlichkeit gegenüber der konkurrenzbetonten Erwerbssphäre verband die Hochschätzung der Frau mit der weiblichen Empfindsamkeit.

Femme Philosophe, Blaustrumpf und Gelehrte waren zumindest ideell in das vernünftige, egalitäre aufgeklärte Menschenbild einbezogen gewesen. Das Bild der empfindsamen Frau meinte nun einen dem Männlichen entgegengesetzten Charaktertypen. Nicht mehr analog, sondern komplementär zur Männlichkeit wurde die Weiblichkeit definiert. Die Frau galt – aus männlicher Sicht - als das natürliche Wesen, als tugendhaft, weil sie nicht durch künstliche Bildung beeinflußt war.

Passivität und Emotionalität wurden der Frau als naturgegebene Wesensmerkmale zugeschrieben, dem Mann dagegen Aktivität und Rationalität, weshalb er als Kulturträger und Gesellschaftswesen, sprich: öffentliche Person galt.

Diese neue, aus der „natürlichen" Weltordnung abgeleitete Sicht ermöglichte es, Männern und Frauen getrennte Wirkungskreise zuzuordnen. Jean Jacques Rousseau formulierte dieses geschlechtsspezifische Weltbild 1762 erstmals in seinem Erziehungsroman „Émile".

 

 

HENRIETTE HERZ

Wie konnten vor solch einem Hintergrund im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts weibliche Bildnisse dieser Art entstehen?
Anna Dorothea Therbusch stellt in diesem Gemälde von 1778 die kaum 15jährige Henriette de Lemos als Hebe dar, das in üppigen Locken fallende, dunkle Haar ganz unverhüllt. Es ist das Bildnis einer unverheirateten jungen Frau, eines Mädchens eigentlich, dessen anmutige Schönheit sich unter dem Namen der Göttin zeigen darf. Ein Jahr später wurde sie an den angesehenen Arzt, Philosophen und Schriftsteller Marcus Herz verheiratet.

Henriette Herz, 1764 geboren und in demselben wie Fanny Hensel – 1847 – verstorben, gründete in Berlin den ersten Salon nach französischem Vorbild. Marcus Herz war 17 Jahre älter als seine Frau und bewegte sich in den gelehrten Kreisen der Berliner Aufklärer. Er förderte die Lesefreude der jungen Frau, regte sie an, Fremdsprachen zu lernen und sich auch mit den Naturwissenschaften zu beschäftigen.

 

Henriette Herz liebte die Literatur des gerade aufkommenden Sturm und Drang, zu deren Lektüre sich viele junge Menschen in Deutschland versammelten. Und sie las die „Briefe an eine deutsche Prinzessin", die der Mathematiker Leonhard Euler eigens für Frauen verfaßt hatte, um ihnen physikalische und philosophische Fragen nahezubringen.

„Als eine Frau lesen lernte, trat die Frauenfrage in die Welt", formulierte Marie Ebner-Eschenbach. Wenn sich auch Henriette Herz für die ihrer Generation entsprechende jüngere Literatur des Sturm und Drang begeisterte, war sie doch ein Kind der Aufklärung, insbesondere der Berliner Aufklärung, die, mit den Namen von Gotthold Ephraim Lessing, Moses Mendelssohn und Friedrich Nicolai verbunden, die Emanzipation des Bürgertums in unvergleichlicher Form beförderte.

 

Die literaturkritischen und insgeheim politik-kritischen Zeitschriften dieser Männer etablierten erstmals in Deutschland eine Form der Literaturkritik, die die Leser – und hier auch Leserinnen – zur Diskussion bewußt herausforderte. Auch das ist Aufklärung: Selbst denken, lesen (können), schreiben und publizieren, kritisieren. Die Menschen zu einem kritischem Denken zu erziehen, war das praktische Ziel.

Die Forderung nach höherer Bildung schloß die Frauen ein, wenn auch nicht konsequent gleichberechtigt. Lesegesellschaften, Lesezirkel, Teekränzchen bildeten sich, und die Freude am Lesen, die Neugier führten Menschen unterschiedlicher gesellschaftlicher, politischer und religiöser Herkunft zusammen. Während Männer wie Marcus Herz das sich entwickelnde gesellschaftliche Leben als liebenswerte Entspannung betrachteten, gestaltete Henriette Herz es zu einer Lebenskunst. Ihr Bildungswillen und die tolerante Haltung ihres Ehemannes machten das Haus Herz für eine Zeit zum meistbesuchten Haus der Stadt.

Die Gäste waren keineswegs bloß Schwärmer des Sturm und Drang und jugendliche Bewunderer der ausgesprochen schönen Hausdame - deren Namen wir heute kaum mehr kennen. Es fanden sich darunter auch Friedrich Daniel Schleiermacher, Friedrich Gentz, Jean Paul, die Brüder Humboldt, Madame de Staël, Rahel Varnhagen und Dorothea Schlegel.

 

 

DOROTHEA SCHLEGEL

Wieviel Autonomie und Charakterstärke Henriette Herz sich im Lauf der Jahre erwarb, zeigt die loyale Haltung, die sie ihrer Freundin Dorothea Schlegel gegenüber bewies.
Dorothea, als Brendel Mendelssohn aufgewachsen, verursachte 1799 einen großen gesellschaftlichen Eklat.
In diesem Jahr wurde ihre Scheidung von dem Bankier Simon Veit ausgesprochen, mit dem sie zwei Söhne hatte. Den Scheidungsgrund hatte Dorothea im Salon von Henriette Herz kennengelernt: den Dichter Friedrich Schlegel, den sie später heiratete.

Henriette Herz schreibt dazu in ihren Erinnerungen:

„Mein Mann hätte gewünscht, daß ich den Umgang mit der Freundin meiner Kindheit abgebrochen hätte. Ich erklärte ihm, daß er Herr in seinem Hause sei, daß ich ihn aber bitte, mir zu gestatten, hinsichts meines Umgangs außer seinem Hause auch ferner meiner Absicht zu folgen."

Überzeugt davon, daß Dorothea die sittlichen Grenzen übertrat, hielt Henriette dennoch zur Freundin, weil sie die Enge dieser Grenzen selbst empfindlich betrafen.

 

Rechtlich galt die Frau in friederizianischer Zeit und darüber hinaus als Mündel ihres Ehemannes. Die patriarchalische Auffassung der Eheleute zueinander wie auch der Kinder zu den Eltern war maßgeblich für die Lebensrealität. Der Mann wird zum Haupt der ehelichen Gemeinschaft erklärt und ist der gerichtliche Vormund seiner Frau. Sollte er sie körperlich mißhandeln, ist das kein Grund zur Beschwerde ihrerseits. Die Autorität des Vaters über sein Kind reichte so weit, daß er es ohne Einwilligung der Mutter zur Adoption freigeben konnte.

Andererseits ist der Mann verpflichtet, seine Frau standesgemäß zu unterhalten. Und in bestimmten Fällen wird der Frau – im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern – das Besitz- und Verwaltungsrecht auf einen Teil der ehelichen Güter zugestanden.

 

Die ungewöhnlich hohe Zahl der Ehescheidungen ist Ausdruck des liberalen Ehescheidungsgesetzes. Friedrich entschied 1783,

„daß man mit der Trennung der Ehe nicht gar so facil sein Muss, daß davon ein Missbrauch entsteht, wie man auf der anderen Seite auch nicht gar zu difficil sein Muss, sonsten hindert das die Population!".

Ebenso war die Behandlung lediger Mütter und ihrer Kinder humaner, wenn auch aus Gründen der Peuplierungspolitik, ändert dies doch nichts an dem objektiven Tatbestand.

Die erste Frau in Preußen, die sich überhaupt scheiden lassen konnte, war die Dichterin Anna Louisa Karschin (1722-91). Sie trennte sich nicht aus Liebe zu einem anderen Mann, sondern um der unerträglichen Quälerei ihres alkoholsüchtigen Mannes zu entgehen, den sie mit 16 Jahren hatte heiraten müssen. 1761 gelangte sie nach Berlin, wo sich binnen kurzer Zeit die Elite der Berliner Literaten um sie scharte und ihre Dichtung feierte. Unter anderem verband sie ein lebenslanger freundschaftlicher Briefwechsel mit Johann Wilhelm Gleim.

Selbstverständlich war „die Karschin" als geschiedene Frau in der bürgerlichen Gesellschaft ein ebensolcher „Schandfleck" wie Dorothea Schlegel. In den gelehrten und künstlerischen Kreisen der Berliner Aufklärer jedoch fand sie Anerkennung und Unterstützung.

 

Henriette Herz trat als Leserin, nicht als Künstlerin, nur eingeschränkt als Schriftstellerin und gar nicht als die Grenzen der Sittlichkeit sprengende Frau in Erscheinung. Sie etablierte jedoch die halböffentliche literarische und gesellschaftspolitische bürgerliche Diskussion. Sie las und öffnete sich durch den Umgang mit Literatur und gebildeten Menschen einen Zugang zum öffentlichen Leben, der ihr nach allgemeiner männlicher rechtlicher Auffassung nicht zustand. Insofern unterlief sie die von Rousseau propagierte Geschlechterpolarität und galt vielen Frauen als Vorbild für die Vereinbarkeit von weiblicher Tugend und Bildung.

 

Dorothea Schlegel – sie heißt zu dieser Zeit noch Veit - verließ Berlin, konvertierte zum christlichen Glauben und folgte ihrem Geliebten Friedrich nach Jena, wo sie zusammen mit Caroline und August Wilhelm Schlegel für vier Jahre gegen die traditionelle Familienform lebten.

Die geistige Emanzipation der Frauen in der deutschen Frühromantik, die sich ab 1798 in Jena im Kreis der Schlegels, Humboldts und anderer entwickelte, stellte keine politischen Forderungen hinsichtlich der Frauenrechte. Aber weibliches Selbstbewußtsein und weibliche Kreativität konnten sich in dieser nicht von männlichen Normen bestimmten Welt entfalten. In einem Gleichheitstraum galt der androgyne Mensch als Idealbild. Von der Kombination selbständiger Weiblichkeit und sanfter Männlichkeit sprach Friedrich Schlegel, doch blieben diese Utopien ohne öffentliche Wirkung.

 

Die literarische Produktion der Frauen provozierte Klatsch und Verleumdungen. Caroline und Dorothea Schlegel bewahrten sich als Ehefrauen und Mütter erotische Anziehungskraft und Entscheidungsfreiheit auch und gerade in sexueller Hinsicht. Das kommt auch in dem Bildnis Dorotheas zum Ausdruck: Die offenen Haare galten und gelten noch als Symbol der sexuellen Bereitschaft.

Die Scheidung grassierte in diesen Lebenskreisen, die sich weit vom Tugendbund der Henriette Herz entfernt hatten. Am Ende jedoch unterwarfen sich beide Frauen den geliebten Männern. Dorothea publizierte unter dem Namen Friedrich Schlegels und konvertierte wie er zum Katholizismus. Caroline Schlegel folgte nach ihrer Scheidung von August Wilhelm Schlegel ihrem Mann Friedrich Schelling nach Bayern.

 

 

AMALIE BEER

Amalie Beer (1767-1854) ist im Vergleich zu Henriette Herz und Dorothea Schlegel eine Unbekannte unter den wirkungsmächtigen Frauen des ausgehenden 18. Jahrhunderts. Jedoch basiert ihre Geschichte auf einem höchst individuellen Lebensentwurf, der sich von denen ihrer Zeitgenossinnen unterschied. Amalie Beer wählte als Jüdin nicht den Weg der Assimilation, sondern der Akkulturation.
Durch Geschmack und Bildung gelang es ihr, eine bedeutsame Rolle im kulturellen und sozialen Leben Berlins zu spielen.

Zeitlebens unterhielt sie enge Kontakte zu höfischen, aristokratischen und bürgerlichen Kreisen sowie zu Männern und Frauen aus Musik, Literatur und Theater. Der Lebensstil der Familie Beer orientierte sich an dem des Hofes und des Adels, denn das aristokratische Frauenmodell forderte die gebildete Konversation, die Amalie Beer für sich in Anspruch nahm. Das bürgerliche Vorbild taugte nicht, denn Heim und Herd vertrugen sich nicht mit öffentlichem Auftreten, wie Amalie Beer es erstrebte.

Gleichzeitig setzte ihr musikalischer Salon, zunächst in der Spandauer Straße 72, dann in der Tiergarten-Villa, die gesellschaftlichen Grenzen außer Kraft. Ein Salon wie der ihre schuf in einer Zeit, in der das Theater der einzige öffentliche Versammlungsort des Bürgertums für Männer und Frauen war, eine weitere Begegnungsstätte und führte verschiedene gesellschaftliche Schichten zusammen.

 

Die große Musikalität Amalie Beers und ihres Sohnes, der sich später Giacomo Meyerbeer nannte, etablierte einen neuen quasi öffentlichen Raum, in dem sich die Bildungselite Berlins und zahlreiche ausländische Gäste trafen. Durch Auslandsreisen und die weitläufigen Geschäftsverbindungen Jacob Herz Beers unterrichtete sich Amalie Beer laufend über die neuesten kulturellen Entwicklungen.
Die Villa im Tiergarten belegt, daß sich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts mit der Konsolidierung des Bürgertums ein eigener Repräsentationsstil herausbildete, der mit dem aristokratischen Luxus konkurrierte. Ein anderes, späteres Beispiel wäre die Villa Borsig in Moabit, die der preußische König staunend besichtigte.

 

Das Selbstverständnis, das Amalie Beer als Jüdin behauptete, bestand nicht nur darin, daß sie sich nicht von der Religion ihrer Vorfahren löste, obwohl sie viele kulturelle Formen ihres christlichen Umfeldes übernahm, sondern auch darin, daß sie es verstand, das jüdische Bild der Mutter an ihre Söhne weiterzugeben. Sie und ihr Mann praktizierten einen zeitgemäßen Umgang mit der Religion, wie er nicht besser als in der Stiftung der ersten Berliner Reformsynagoge im eigenen Haus in der Spandauer Straße zum Ausdruck gebracht werden konnte.

Das Bildnis der Amalie Beer gibt dagegen keinerlei Hinweis auf ihre Religionszugehörigkeit. Es ist entspricht der aus Frankreich übernommenen Variante des Klassizismus und zeigt die Bürgerliche in der Haltung einer antiken Göttin.

 

 

SOPHIE MARIE GRÄFIN VOß

Die Menschen ihrer Zeit rühmten Amalie Beer auch aufgrund ihres außerordentlichen wohltätigen Engagements, das sich in zahlreichen jüdischen und interkonfessionellen Stiftungen zeigte. In den Befreiungskriegen ergriff sie wie zahlreiche Mitglieder der jüdischen Gemeinde die Gelegenheit, ihren Patriotismus unter Beweis zu stellen.

Die Mitglieder des Luisenordens belohnten ihr aufrichtiges Handeln mit der Aufnahme in diesen wichtigsten preußischen Frauenorden. Allein der König tat sich schwer und verlieh ihr den Orden erst nach mehrmaligem Eingreifen der Prinzessin Marianne. Seine geistige Beschränktheit erlaubte ihm nicht, der Jüdin das christliche Kreuz zu überreichen. Statt dessen händigte er ihr einen kreisrunden, eigens für sie angefertigten Orden aus.
Daß Amalie Beer in christlichen Kreisen viel Anerkennung erfuhr, läßt sich an den Einladungen, zum Beispiel der Hofdame Sophie Marie Gräfin Voß, ablesen.

 

 

LEA MENDELSSOHN BARTHOLDY

Macht sich nicht das Bildnis Lea Mendelssohns, der Mutter von Fanny und Felix, gegen das Porträt Amalie Beers streng und bieder aus?
Lea und Abraham Mendelssohn führten das offene Moses Mendelssohns fort. Der musikalische Salon in der Leipziger Straße bestand ohne Konkurrenz neben dem Salon der Beers. Die Gäste des einen waren vielfach auch Gäste des anderen. Nur den Luxus der Tiergartenvilla schränkte man hier etwas ein.

Das entsprach dem Lebensentwurf sowohl Leas als auch Abrahams, die als Abkömmlinge jüdischer Eltern eine andere Form der Integration in das deutsche Bürgertum suchten, den der Assimilation. Sie übernahmen das konservative christlich-bürgerliche Weltbild und forderten die Einhaltung von dessen Geboten auch von ihren Kindern.

 

 

FANNY HENSEL

Weit davon entfernt sich der elterlichen Disziplin zu entziehen, unternahm ihre Tochter Fanny keinen Versuch, eine eigenständige musikalische Erwerbstätigkeit aufzunehmen, obwohl sie von ihrer Begabung durchaus überzeugt war. Noch nach dem Tod des Vaters unterwarf sie sich der brüderlichen Auffassung, nach der eine Karriere als Musikerin ihrem Wesen als Frau zuwider lief.

Und das – hier folgt wieder ein „obwohl" – und das obwohl ihr Ehemann, der Maler Wilhelm Hensel die Meinung Felix Mendelssohn Bartholdys nicht teilte und seine Frau in ihren musikalischen Neigungen unterstützte. Und Fanny unterwarf sich, obwohl sie wußte, daß der verehrte Bruder andere Frauen als Künstlerinnen schätzte und förderte.

Das von Rousseau propagierte Rollenbild der Frauen hatte im Hause Mendelssohn seinen ganzen Einfluß entfalten können. Zwar gab es auch Gegenstimmen, wie die Theodor von Hippels, aber sie konnten sich mit ihrer Auffassung, die Verhaltensunterschiede von Männern und Frauen seien vorrangig durch die Unterdrückung der Frauen zu erklären, nicht durchsetzen. Hippel hatte 1792 seine Schrift „Über die bürgerliche Verbesserung der Weiber" veröffentlicht.

 

Selbstverständlich sollte der Titel provozieren, denn er bezog sich auf die mit lebhaftem Interesse aufgenommene Schrift des preußischen Beamten Christian Wilhelm Dohm „Über die bürgerliche Verbesserung der Juden", die 1781/82 auf Anregung Moses Mendelssohns entstanden war. Hippel sieht in der weiblichen Bestimmung zur Ehefrau und Mutter keinen Gegensatz zur Eignung als mündige Bürgerin.

Doch das idealisierte Frauenbild Rousseaus und anderer Männer zeigte politische Wirksamkeit in der Französischen Revolution, in der die Beteiligung von Frauen, die politischen Initiativen von Revolutionärinnen unterbunden und die Frauen aus dem öffentlichen Leben verdrängt wurden. Der immer wieder gerühmte Code Civil – 1804 erlassen – kodifizierte die weitgehende rechtliche und politische Entmündigung der Frau. Die Schriftstellerin Olympe de Gouges (1748-1793) forderte die Vertretung der Frauen in der Nationalversammlung, um den Rechten der Frauen Geltung zu verschaffen, und wurde hingerichtet.

 

 

RAHEL VARNHAGEN

Dennoch trat zu dieser Zeit in Berlin eine junge Frau auf die „Bühne", deren Selbstbewußtsein und geistige Kompetenz bis heute unumstritten ist, obwohl auch ihr Lebenslauf nicht dem Ideal weiblicher Tugendhaftigkeit entsprach.

Rahel Levin (1771-1833) spielte eine überragende Rolle in der Geschichte der deutschen Kultur und der Frauen. Eine überwiegend soziale Rolle, denn sie war Vermittlerin, stellte Beziehungen her, milderte Konflikte. Von 1795 bis 1806 bestand ihr Salon, liebevoll als die Mansarde bezeichnet. Auch hier kamen Mitglieder der preußischen Königsfamilie, Diplomaten, Schauspieler und Schauspielerinnen zusammen. Niemand wurde diskriminiert. Denn für Rahel zählte einzig deren intellektuelle Fähigkeit. Um den großen Kreis der um sie versammelten Menschen zu halten und zu pflegen, schrieb sie im Laufe ihres Lebens mehrere tausend Briefe, ein unvergleichliches Werk.

 

Die Gäste ihrer Mansarde, darunter die Schriftsteller, die sich Junges Deutschland nannten, bewunderten Rahels Offenheit und geistige Originalität. Frauen äußern immer wieder, wie stark der Einfluß Rahels auf ihre eigene Lebensführung war. Hier war eine Frau, die unübersehbar den Anspruch anmeldete, teilzuhaben am geistigen Leben – oder wie sie es selbst nannte: am allgemeinen Menschenwohl.
Erst mit 34 Jahren heiratete sie, den etliche Jahre jüngeren Karl August Varnhagen von Ense.

 

Ihre Biographin Carola Stern äußerte die Meinung, mit Rahel Varnhagen beginne die Geschichte der weiblichen Emanzipation. Das ist so nicht richtig, denn der Weg war länger und vielschichtiger, wie die zuvor genannten weiblichen Biographien zeigen.
Rahel Varnhagen sah sich als Jüdin und später als konvertierte Christin stets als „neben der Gesellschaft lebend". So stark sie ihre Rolle als emazipationswillige Frau auch spielte, gewährt wurde ihr die Erfüllung ihres Begehrens nur bedingt.

 

 

BETTINA BRENTANO VON ARNIM

„Ich selber zu bleiben, das sei meines Lebens Gewinn!" Dieser Maxime folgte Bettina von Arnim (1785-1859). 1806, in dem Jahr, in dem Fanny Hensel geboren wurde, begann der romantische Briefwechsel zwischen Bettina Brentano und Achim von Arnim. Fünf Jahre sollte er währen, bis die beiden im März 1811 sich heimlich in der Bibliothek eines Berliner Pfarrhauses trauen ließen. Bis dahin hatte sich Bettina energisch dagegen verwahrt zu heiraten, eine Konvenienzehe einzugehen.

Sie entzog sich der Versorgungsehe, die auch ihrem Lebensentwurf nicht entsprach, beugte sich aber im Ganzen der brüderlichen Autorität ihres Bruders Franz, der nach dem Tod des Vaters ihr Vormund war.

 

Wie stark auch auf Bettina letztlich männliche Autorität wirkte, zeigt die Tatsache, daß sie erst nach dem Tod ihres Mannes und des hoch verehrten Dichters Goethe, ihre Laufbahn als Schriftstellerin begann. Dem Einspruch ihres Bruders Clemens widersetzte sie sich.
Sie hatte Achim von Arnim schon als Unverheiratete beneidet, der auf Reisen gehen und arbeiten durfte. Sehnlichst hatte sie sich gewünscht, eine Karriere als Sängerin machen zu dürfen, was einen Skandal verursacht hätte. Dazu war sie nicht bereit gewesen.

Ihr außergewöhnlich starkes Autonomiebedürfnis, dessen Grund auch in dem frühen Tod der Mutter liegen dürfte, setzte sie als Schriftstellerin nicht für ihr eigenes Wohl, sondern im Dienste anderer Menschen ein. Ihre Korrespondenz mit Friedrich Wilhelm IV. gilt heute als eine der wichtigsten politischen Korrespondenzen der Zeit. 1852 erschien der zweite Band ihres Königsbuchs, und Bettina von Arnim wurde als Kommunistin beschimpft, in Bayern und Österreich wurde das Buch verboten.

 

Diese Frau stellte sich selbst immer wieder und unerschrocken ins öffentliche Blickfeld. In politisch brisanter Zeit, den Revolutionsjahren, kämpft sie gegen polizeiliche Bevormundung, gegen Not und Ungerechtigkeit, gegen die Unterdrückung von Juden, der schlesischen Weber und politisch Verfolgter.

 

 

LOUISE ASTON

Im 19. Jahrhundert erfuhr die Konstruktion der geschlechtsspezifischen Gegensätzlichkeit von Frauen und Männern ihre „wissenschaftliche" Begründung. Männer – Frauen dürfen ja noch keine Wissenschaftlerinnen sein – versuchen, das „Rätsel Frau" zu ergründen. Hegel und Schopenhauer beschreiben die „Kindnatur" der Frau in offenem Gegensatz zum Mann.

Die glückspendenden Fähigkeiten der Frau gipfelten männlicher Meinung nach in Mütterlichkeit und Mutterliebe. Das Ideal der schönen Seele, das den Frauen des Bürgertums unterstellt wurde, entwertete die weibliche Arbeit in Haus und Familie. Diese Arbeit erklärten Wissenschaftler nun zur natürlichen Bestimmung der Frau, zur unentgeltlich zu leistenden „Liebesarbeit".

 

Erst Mitte des 19. Jahrhunderts äußern die Frauen massiven Protest und fordern Bildung und Berufstätigkeit, rechtliche und politische Gleichstellung, die Emanzipation. Die letztlich nichts anderes meint, als die Befreiung aus männlicher Vormundschaft. Zur gleichen Zeit beginnen Arbeiterinnen darum zu kämpfen, sich vor zuviel Arbeit schützen zu können ...

Louise Aston (1814-1871) gilt als eine der radikalen Verfechterinnen der Frauenrechte und verehrte die Schriftstellerin George Sand. Louise wurde mit 17 Jahren mit dem englischen Kaufmann Aston verheiratet, von dem sie sich zwei Mal scheiden ließ. Sie ging nach Berlin, lebte ein freies Leben – viele meinten ein ungezügeltes - und beteiligte sich an der Revolution von 1848. Von Anfang umgab sie eine Revolutionsglorie. Die Gerüchte über ihre Person verstummten nicht. Was tat sie?

Sie verstieß gegen jegliche bürgerliche Norm. In männlicher Kleidung besuchte sie ohne Begleitung öffentliche Lokale, wo sie Bier trank und Zigarren rauchte. Über ihren Freund Rudolf Gottschall gelangte sie in die Berliner Intellektuellen- und Literaturszene, sah sich jedoch auch hier dem männlichen Spott ausgesetzt. Louise Aston propagierte und lebte die freie Liebe und wurde 1846 aus Berlin ausgewiesen. Als Krankenpflegerin schloß sie sich den Freiwilligen an, die den Schleswig-Holsteinern in ihrem Kampf um Unabhängigkeit zu Hilfe eilten.

 

In einer Rechtfertigungsschrift wandte sich Louise Aston an das deutsche Volk, „Meine Emancipation, Verweisung und Rechtfertigung", schilderte sie als erste Frau in Deutschland öffentlich ihre privaten Angelegenheiten. Die Rechte, die sie darin forderte, forderte sie nicht allein für sich, sondern für alle Frauen.
Dennoch waren es auch weibliche Stimmen, die sich gegen sie erhoben, da Louise nicht nur die Gleichberechtigung der Frau kategorisch einforderte, sondern auch Ehe und Familie grundsätzlich in Frage stellte.

 

 

FANNY LEWALD

Auch Fanny Lewald widerstrebte die Radikalität, mit der Louise Aston ihre Forderungen erhob und – so weit möglich – lebte. Fanny Lewald hatte 1840 durch die Aufforderung ihres Onkels August und dessen Intervention bei ihrem Vater begonnen zu schreiben. Erste Erzählungen und zwei Romane erschienen auf Wunsch des Vaters anonym und wurden große Erfolge. 1845 durfte sie eine eigene Wohnung beziehen. Markgrafen- Ecke Kronenstraße ließ sie sich nieder. In diesem Jahr begegnete sie auf einer Italienreise dem Publizisten Adolf Stahr, den sie erst zehn Jahre später heiratete, denn Stahr war verheiratet.

Fanny Lewald wurde nicht nur eine der erfolgreichsten Schriftstellerinnen des 19. Jahrhunderts. In ihren Büchern und Aufsätzen formulierte sie unermüdlich ihr Ideal, das Emanzipation hieß: Emanzipation für die Juden, die Frauen, das Bürgertum und später die Arbeiterklasse. Grundlage ihres Weltbildes war und blieb bürgerliche Sittlichkeit, nicht Sinnlichkeit. So lehnte sie auch die Werbung Adolf Stahrs zunächst in dem Wissen ab, daß er verheiratet war. Ihre private und politische Haltung blieb stets die einer bürgerlich-liberalen Frau.

 

„Hören Sie! ... Ihr Roman hat mich heute die ganze Nacht beschäftigt, „sagte ihr Heinrich Heine 1855. „Deutschland kommt mir ordentlich fremd vor, daß man wieder so ernsthafte Bücher bieten kann, und über Sie wundere ich mich auch. ... Daß Sie so mit der Sprache herausgehen, so alles sagen ... Und obendrein Ihre Ansichten über Ethik und Religion, alles so nackt und blank, nirgends ein Ausweg gelassen! Es hat mir etwas Unheimliches!
Dieses unverblümte Hinstellen der eigenen Tendenz, dieses offene Preisgeben der innersten Meinung kann Ihnen einmal teuer zu stehen kommen. Sie müßten durchaus vorsichtiger sein."

 

 

„BRAUCHEN WIR GROßE FRAUEN?"

Vor einigen Monaten (2006) stellte die Publizistin Antje Schrupp, Frankfurt, in ihrem Rundschreiben die Frage:

„Brauchen wir „große" Frauen?"
Die Erforschung historischer „Frauengestalten" ist für viele faszinierend. Nichts verkauft sich so gut wie Biografien und Historienromane. Doch die weibliche Wiederentdeckung der Geschichte ist zwiespältig. Oft scheinen die „vor dem Vergessen" geretteten Frauen wie Lückenbüßerinnen, deren Aufgabe es ist, die männliche Geschichtsschreibung zu komplettieren.

Ich bin der Meinung, daß es darum eigentlich nicht gehen kann. Einen kritischen Blick verdient auch die Idealisierung bestimmter Frauen als Vorbilder für alle Frauen – früher war das die aufopfernde Frau, heute ist es die emanzipierte.
Aber wann sind solche Vorbildfrauen einschränkend, weil sie sie auf ein bestimmtes Rollenbild von Weiblichkeit trimmen? Und wann sind sie befreiend, weil sie Mut machen, neue Wege aufzeigen?"

 

Ich bin der Meinung, daß die Vielfalt der Lebenswege und Lebensentwürfe der hier genannten Frauen in jedem Fall Anregung gibt - und mehr nicht geben kann. Die individuelle Vorbildfunktion erübrigt sich, da die Zeit in der wir leben, keine dem 18. und 19. Jahrhundert vergleichbaren Lebensbedingungen vorgibt. Eine allgemeine Vorbildfunktion sehe ich in den Lebensläufen jedoch schon: Die Aufforderung an Frauen und Männer, die eigenen Kompetenzen und Wirkungsmöglichkeiten der Gesellschaft zur Verfügung zu stellen und damit die gesellschaftliche Entwicklung in die Richtung weiterzuführen, deren Ziel gleiche Chancen und Bedingungen für Jungen und Mädchen, für Männer und Frauen heißt.

 

Gerhild H. M. Komander

 

Der Text erschien zuerst im "Berliner Lindenblatt", 2006.

 

Zu Dorothea Schlözer gibt es ein "Zeitzeichen" im WDR zu hören.

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