Mathilde Jacob, für Rosa Luxemburg und einen demokratischen Sozialismus

153 Briefe schrieb Rosa Luxemburg in den Jahren 1913 bis 1918 an Mathilde Jacob, davon 148 aus dem Gefängnis. Die Briefe von Mathilde Jacob an Rosa Luxemburg sind nicht erhalten. Heinz Knobloch schreibt; „natürlich nicht“.
Wieso?


Wer war Mathilde Jacob?

Viel ist durch die Recherchen Knoblochs bekannt geworden. Einige Zusätze konnten Sibylle Quack und Rüdiger Zimmermann machen, die 1988 in der Zeitschrift „Internationale wissenschaftliche Korrespondenz zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung“ (IWK) die Erinnerungsschrift von Mathilde Jacob an Rosa Luxemburg herausgaben, auf der Knoblochs Buch wesentlich basiert.

Mathilde Jacob, geboren 1873, wohnhaft Altonaer Straße 11, dicht an der S-Bahn-Trasse, Hansaviertel, war seit Dezember 1913 die Schreibkraft Rosa Luxemburgs, später deren Sekretärin. Sie besuchte Rosa Luxemburg im Gefängnis, kümmerte sich um ihre Wohnung, schmuggelte Briefe und politische Texte ins und aus dem Gefängnis, wurde Freundin.


War sie nicht auch eine ungeheuer selbständige, mutige, konspirative Persönlichkeit?

„Aber sie war noch viel mehr als das: treue, verläßliche, immer hilfsbereite Freundin, zuverlässige und tapfere Widerstandskämpferin und Genossin.“ Bei Quack und Zimmermann heißt es weiter: Stets werde ihre „dienende Funktion“ hervorgehoben. „Ein typisches Frauenschicksal, scheint es. (...) Die helfende dienende, unverheiratet gebliebene Mathilde (...) – war sie nicht auch eine ungeheuer selbständige, mutige, konspirative Persönlichkeit, zunächst während des Ersten Weltkriegs, dann in der Illegalität in der KPD 1919, später in der Hitlerzeit?“

Nach dem Tod Luxemburgs war sie Paul Levis Sekretärin, eines weiteren Weggefährten von Rosa Luxemburg. Sie war verantwortliche Redakteurin seiner Zeitschrift „Unser Weg“ und „Sozialistische Politik und Wirtschaft“.

Beide wurden 1921 aus der KPD ausgeschlossen, weil sie den demokratischen Sozialismus der Luxemburg-Linie vertraten, und kehrten mit einigen Mitgliedern der USPD 1922 in die SPD zurück. Paul Levi starb 1930.

Ob Mathilde Jacob weiter in der SPD blieb, ist nicht zu ermitteln, da die Mitgliederkarteien der Partei verbrannten.

 

Knobloch„... in den Händen eines Fräuleins ...“  

Der Historiker Andreas Herbst fand noch mehr heraus und schreibt auf seiner Website DDR-Biografien:

„Die sich stets im Hintergrund haltende Mathilde Jacob trat ein einziges Mal an die Öffentlichkeit. Der VII. Jenaer KPD-Parteitag im August 1921 hatte die Zentrale aufgefordert, alsbald die Herausgabe der Schriften Rosa Luxemburgs vorzunehmen. Im Zusammenhang mit der Realisierung dieses Antrages kam es zu einer böswilligen und verletzenden Bemerkung gegenüber Mathilde Jacob. Aus der Zentrale der KPD wurde verlautet:

„... die praktische Ausführung wird wahrscheinlich daran scheitern, daß der Nachlaß Rosa Luxemburgs sich in den Händen eines Fräuleins befindet, die durch den Bruch der Parteidisziplin nicht mehr zur Partei gehört. Es ist fraglich, ob sie das Material an uns herausgibt.“

Daraufhin veröffentlichte Mathilde Jacob Anfang September 1921 im USPD-Organ „Freiheit“ einen Leserbrief, in dem sie in scharfer Form die Polemik der VKPD-Zentrale abwehrte und über ihre Tätigkeit berichtete.

„Viele Proletarier werden wohl verwundert gefragt haben, wer wohl das ‚Fräulein’ sein mag, die Rosa Luxemburgs Vertrauen in so hohem Maße besaß, daß sie sogar zur Hüterin ihrer politischen Hinterlassenschaft bestellt wurde.
Es widerstrebt mir, von mir selbst zu sprechen. Ist es doch so selbstverständlich, daß man seine Schuldigkeit tat und sie weiter tut.
Ich marschierte als einfacher Soldat im Spartakusbund, aber ich habe nie den Kampfesmut verloren, ich habe nie die Arbeit im Stich gelassen, wie so manche der Offensivhelden, die heute in der Zentrale der V. K. P. D. sitzen.
Ich arbeitete vor dem Kriege lange Jahre hindurch mit Karl Liebknecht, Rosa Luxemburg, Franz Mehring und vielen anderen.
Ich leistete in der schwierigsten Zeit während des Krieges Leo Jogiches freiwillige Sekretärdienste. Denn der Spartakusbund hatte keine Mittel, und wir alle, die wir in ihm kämpften und arbeiteten, opferten unseren letzten Pfennig und unsere äußerste Kraft. Es war eine erheblich aufreibendere Arbeit als heute.
Wir kamen nicht auf Festung!
Wir wanderten in die Gefängnisse, in die Zuchthäuser. Wie schwierig war es, die Beiträge für die Spartakusbriefe zu bekommen! Wer schrieb außer Rosa Luxemburg für die Spartakusbriefe?
Alle Mitteilungen hierfür gingen durch meine Hände, und neben ganz winzigen Beiträgen von anderer Seite schrieb außer Rosa Luxemburg nur - der ‚Opportunist’ Paul Levi ...
Heute haben ungeheuer viele ihr revolutionäres Herz entdeckt und sprechen von mir als ‚Fräulein’. Aber weshalb ist sie für diese Fräulein und nicht mehr Genossin?
Wahrscheinlich, weil ich [für] die Zeitschrift Paul Levis ,Unser Weg’ verantwortlich zeichne. Ja, ich bekenne mich ganz offen zur Richtung Levi ...“  

Mathilde Jacob verfasste erstmals zum 15. Januar 1929 einen kurzen Artikel zum 10. Todestag von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht in der „Leipziger Volkszeitung“. Die vollständige Version ihrer Erinnerung – es existieren vier Varianten - wird vermutlich 1930 entstanden sein, denn den Tod Levis erwähnt sie noch.


Die Retterin kann sich selbst nicht retten

Was auch immer Mathilde Jacob nach 1930 tat. Sie blieb Rosa Luxemburg und ihrer Sache treu.

Sie bewahrte nicht nur deren Briefe an sie, das Gefängnistagebuch, Bilder, Korrespondenz, sondern übergab diese Dokumente 1939 auch unter Lebensgefahr an Ralph H. Lutz von der Hoover Institution in Stanford, Kalifornien, und rettete damit ein wertvolles Erbe. Sich selbst konnte Mathilde Jacob nicht retten.

Vielleicht haben die Nationalsozialisten sie nicht als Sozialistin erkannt. Ihr Judentum konnte Mathilde Jacob nicht verbergen. Aus den Briefen, die Neffen Paul Levis aufbewahrten, geht hervor, daß sie verzweifelt versuchte, aus Deutschland herauszukommen. Sie wandte sich an die in den Vereinigten Staaten lebende Schwester Paul Levis und andere Menschen dort.

Im Juni 1942 erhielt die 69 Jahre alte Mathilde Jacob, die sich Mathel nannte, um nicht den Zwangsnamen Sara annehmen zu müssen, den Brief, der ihre Deportation ankündigte.

Mit dem sogenannten „30. Altertransport“ wurde sie mit 102 anderen Frauen und Männern vom Jüdischen Altersheim in der Großen Hamburger Straße zum Anhalter Bahnhof und nach Theresienstadt verschleppt. Am 27. Juli 1942 fuhr der Zug ab. Mathilde Jacob wurde 1943 im Konzentrationslager Theresienstadt ermordet. Die genauen Umstände ihres Todes sind nicht bekannt.

Quack und Zimmermann fanden ein Schreiben des International Rescue and Relief Commitee in New York vom 9. Juni 1943. Darin stellte das Hilfskommitee 500 Dollar für die Ausreise bereit.

Gegen den erbitterten Widerstand der CDU im Bezirk Tiergarten konnte im Juni 1995 der Vorplatz des Rathauses Tiergarten in Mathilde-Jacob-Platz umbenannt werden. Dem Bürgerbegehren der CDU für die Rücknahme der Benennung trat eine Initiative entgegen, der Walter Momper, Heinz Knobloch, Margarethe von Trotta und viele andere angehörten.

 

Gerhild Komander

Der Text erschien zuerst im "Berliner Lindenblatt", März 2008.

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