| Nr. 3, November 2006 |

Rentierjäger und Elbgermanen am Tegeler Fließ

Berliner Siedlungsgeschichte im Bezirk Reinickendorf

von GERHILD H. M. KOMANDER

Ein Blick über den Gartenzaun hat die Wirkung einer Zeitreise. Geweißte Wände ducken sich unter Stroh gedeckten Dächern. Dicht beieinander stehen im Garten des alten Hermsdorfer Schulhauses drei Gebäude aus lehmverstrichenem Flechtwerk. Die Semnonen, die der römische Geschichtsschreiber Tacitus als das älteste und edelste Volk unter den Sueben bezeichnete, errichteten Bauten dieser Art. Der elbgermanische Stamm der Semnonen siedelte etwa ein Jahrtausend lang – von 500 vor bis 500 nach der Zeitenwende - in Brandenburg und Mecklenburg und hinterließ vielfältige Spuren. Immer wieder stießen die Archäologen im Berliner Raum auf ihre Spuren.

Frauen spannen und webten Kleidung aus Pflanzenfasern

Das Heimatmuseum Reinickendorf ließ in seinem Garten nach den Grabungsfunden am Waidmannseck und auf dem Mühlenberg ein Gehöft nachbauen. Im Wohnstallhaus lebten Menschen und Tiere unter einem Dach. Das Haus erhebt sich auf der stattlichen Grundfläche von neunzig Quadratmetern.

Ein wesentlich kleineres Grubenhaus – etwa zwölf Quadratmeter – diente als gesonderter Arbeitsraum den Frauen. Hier spannen und webten sie Kleidung aus Pflanzenfasern. Das Web- und Spinnhaus bauten die Semnonen als Grubenhaus, um ein feuchtwarmes Klima zu erhalten. Es wirkte sich günstig auf die textile Arbeit aus. Als drittes Gebäude gehört der Speicher zum Gehöft. Er steht erhöht auf Pfosten – zum Schutz vor Ungeziefer und Schädlingen.

Nomaden an der Titusbrücke

Im Inneren des Museums geht es noch weiter in die Geschichte zurück. Ein Nomadenzelt aus Fellen rekonstruierten die Fachleute nach den Grabungsfunden (1961) in Tegel bei der Tituswegbrücke. Den Ausstellungsraum beherrscht das große Modell mit der Nachbildung eines Rastplatzes von Rentierjägern am Tegeler Fließ.

Der Modellbauer Erhard Vatterodt und sechs Schüler der 10. Klasse an der Johannes- Lindhorst-Oberschule schufen das anschauliche Werk 1984. Der heutige Titusweg führt am Friedhof am Fließtal entlang vom Waidmannsluster zum Hermsdorfer Damm und überquert das Tegeler Fließ mit der gleichnamigen Brücke. Die Wasserverhältnisse an der Brücke ähneln noch immer denen der Steinzeit.

Steinzeit am Tegeler Fließ

Das Tegeler Fließ, der Bach nördlich des Waidmannsluster Dammes, steht aufgrund seiner landschaftlichen Eigenart und vielfältigen Lebensräume unter Landschaftsschutz. Einige Bereiche das Kalktuffgelände bei Schildow, der Köpchensee mit den angrenzenden Obstwiesen bei Blankenfelde und das Eichwerder Moor bei Glienicke sind sogar unter Naturschutz gestellt.

Das Gewässer verläuft am Grunde einer eiszeitlichen Schmelzwasserrinne, dem Tegeler Fließtal. Sein Quellgebiet liegt zwischen Summt und Basdorf, nordöstlich von Berlin. Der Bach mündet nach etwa 22 Kilometern in den Tegeler See. Die steinzeitlichen Funde im Tegeler Fließ waren eine Sensation und sind in internationalen Archäologenkreisen bis heute ein fester Begriff.

Sechs mittelalterliche Dörfer bilden den Bezirk Reinickendorf

Anders als in Alt-Berlin siedelten im Reinickendorfer Raum slawische Gruppen, als die deutschen Kolonisatoren das Land erreichten. Das war im 12. Jahrhundert. Im späten 19. Jahrhundert wuchs der Bezirk Reinickendorf aus sechs mittelalterlichen Dörfern zusammen: Heiligensee, Tegel, Dalldorf (Wittenau), Reinickendorf, Hermsdorf und Lübars. Die Dorfanger trotzten der Verstädterung und blieben bis heute erhalten.

„Die Kirche ist sehr gering, klein und von Holz erbaut mit einer schlechten Lehmwand ..."

{mosimage}Die Kirchen und Wohnbauten der ersten Siedler sind lange schon verschwunden.
Zur Geschichte der Dorfkirche Tegel, die vermutlich auf einem slawischen Anger steht, zitiert August Wietholz 1922 eine Quelle aus dem Jahre 1714, die möglicherweise auf den ersten Kirchenbau am Ort bezogen ist:

„Die Kirche ist sehr gering, klein und von Holz erbaut mit einer schlechten Lehmwand, hat zwar zwei Glocken, welche mit unterschiedlichen Marien-Bildern und anderen dergleichen gezieret sind, ist aber fast nicht zu erkennen, was es sein soll." 1756 erhielt das Dorf statt des bisherigen Fachwerkbaus ein massives Gebäude. Auf der westlichen Seite der Kirche erhob sich ein fester, viereckiger Turm mit niedriger Spitze. 1912 errichtete Jürgen Kröger einen Neubau in neuromanischen Formen.

In Reinickendorf und Wittenau haben sich die Kirchen aus dem 15. Jahrhundert weitgehend erhalten. Den Wittenauer Dorfanger umstehen bis heute Wohnhäusern des 18. und 19. Jahrhunderts – eine Seltenheit in Berlin. Eines der ältesten Häuser des Bezirkes ist das Büdnerhaus, Alt-Hermsdorf 39. Es wurde um 1752 errichtet. Geschichten über das Leben der Bevölkerung werden im Sechs-Dörfer-Raum des Heimatmuseums erzählt.

Heimatmuseum Reinickendorf

Alt-Hermsdorf 35, Telefon 404 40 62. Geöffnet: Mo. 9.00 bis 13.30 Uhr, Di. bis Fr. und So. 9.00 bis16.00 Uhr.

Leben mit den Toten

Symposium zur Bestattungskultur 2006 im Landesarchiv Berlin
Das Kunstamt / Heimatmuseum Reinickendorf lädt zu einem Symposium ein. Vorträge über die Veränderungen im Umgang mit Sterben und Bestattung sowie der Gestaltung unserer Friedhöfe und eine Podiumsdiskussion Trauerrituale werden zu hören sein.
Anmeldung: 40 00 92 –70 / -71
Landesarchiv Berlin, Eichborndamm 115-121
Freitag, 10.11., und Sonnabend, 11.11.2006, 9.00 / 9.30 bis 18.00 Uhr

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- © gerhild komander 11/06 -

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