„Nichts Juden. Juden kaputt“

Der Jurist Daniel B. Silver schreibt über das Überleben im Jüdischen Krankenhaus Berlin

 

Seit mehr als 250 Jahren besteht das Jüdische Krankenhaus Berlin. Auf eine derart lange Geschichte blicken wenige Berliner Institutionen zurück. Das allein ist also schon etwas Besonderes. Das Jüdische Krankenhaus überstand auch den nationalsozialistischen Terror von 1933 bis 1945. Die ärztliche und pflegerische Arbeit konnte bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs durchgeführt und in der Nachkriegszeit fortgesetzt werden. Das erscheint wie ein Wunder, doch das war es nicht, sondern kalte Berechnung der nationalsozialistischen Führung.

 

David B. Silver hat auf der Grundlage der Arbeiten von Rivka Elkin, Dagmar Hartung-von Doetinchem und Rolf Winau, Aussagen von ZeitzeugInnen und Dokumenten die Geschichte des Jüdischen Krankenhauses Berlin aufgeschrieben. Den Ergebnissen der vorhandenen Bücher konnte er weitere Details hinzufügen, insbesondere über die zwiespältige Rolle des Leiters Walter Lustig, das Schicksal der emigrierten und untergetauchten Ärzte und Krankenschwestern und den Alltag im Krankenhaus in den Jahren existentieller Bedrohung.

 

Der amerikanische Autor David B. Silver ist Jurist, kein Historiker. Er ist auch kein Nachfahre emigrierter deutscher Juden. Wie kam er auf die Idee, sich mit dem Jüdischen Krankenhaus in der Weddinger Heinz-Galinski-Straße zu befassen? Die Begegnung mit Klaus Zwilsky in den achtziger Jahren brachte für Silver die erstaunliche Erkenntnis, daß es deutsche Juden gab, die der Ermordung durch die Nationalsozialisten entkommen waren. Zwilsky erzählte ihm seine „Berliner Geschichte“: Sein Vater war Arzt am Jüdischen Krankenhaus und lebte in den letzten Kriegsjahren mit seiner Familie dort.

 

Silver war von dieser Geschichte so fasziniert, von der Tatsache, daß im nationalsozialistischen Berlin ein jüdisches Krankenhaus bestand und arbeitete, daß er mehr wissen wollte. Jahre später begann er seine Recherchen, die er in dem Buch „Überleben in der Hölle“ zusammenfaßt. Der Autor weiß wenig von der Berliner Geschichte, auch vom Leben in der jüdischen Gemeinde vor 1933. Deshalb fehlt die Einbettung der Ereignisse in die Gesamt-Berliner Geschichte. Das erschwert LeserInnen, die selbst keine umfangeichen Kenntnisse haben, den Zugang zu diesem Thema.

 

Mehrfach verzichtet Silver auf lange bekannte Fakten. Ein Beispiel: Er erwähnt die Autobiographie der Journalistin Cordelia Edvardson, die eine kurze Zeit im Waisenhaus des Krankenhauses lebte, aber nennt nicht den Namen ihrer Mutter, der Dichterin Elisabeth Langgässer*. Ist es für die amerikanischen LeserInnen unwichtig? Auf der anderen Seite hat der Autor keine Scheu, das Thema der Mitwirkung jüdischer Gemeindemitglieder bei den Transporten aus dem Jüdischen Krankentransport in die Konzentrationslager anzusprechen. Dieses Buch ist aus der Ferne geschrieben. Manche Fakten und Zusammenhänge vermißt man, andere wird man nur hier lesen können.

 

Gerhild H. M. Komander

Der Text erschien zuerst im "Berliner Lindenblatt" Nr. 7, März 2007.

 

Daniel B. Silver: Überleben in der Hölle. Das Berliner Jüdische Krankenhaus im „Dritten Reich“, Berlin: Verlag für Berlin-Brandenburg 2005. 280 S. Mit 28 Schwarzweißabbildungen

 

*Leseempfehlung:
Frederik Hetmann: Schlafe, meine Rose Die Lebensgeschichte der Elisabeth Langgässer, Weinheim: Beltz & Gelberg 1999. 214 S.

Ursula El-Akramy: Wotans Rabe Elisabeth Langgässer, ihre Tochter Cordelia und die Feuer von Auschwitz, Frankfurt: Verlag Neue Kritik 1997. 134 S.

 

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