Der Tod lädt zum Tanz

Der mittelalterliche Schatz in in der Marienkirche und das Plattdeutsche in Berlin

 

Welche Berlinerin, welcher Berliner vermag wohl den Text zu entziffern, besser gesagt: zu verstehen, der die Besucher der Marienkirche in der westlichen Vorhalle des Baus empfängt? Entstand er doch mitsamt seinen Bildern um das Jahr 1490: der Berliner Totentanz, ein mittelalterliches Kunstwerk ersten Ranges, überliefert uns gleichzeitig Bilder, Sprache und Ausdrucksfähigkeit des Niederdeutschen im Berliner Raum.

Totentänze stellten Menschen aus allen Generationen und jeden Standes dar, die der Tod zum Tanz auffordernd mit sich nimmt. In dem Zusammenspiel von Bild und Text wird den Gläubigen die Endlichkeit irdischen Lebens für alle Menschen gleich welchen Standes vor Augen geführt und rührte besonders in der Zeit der großen europäischen Pestepidemie 1347 bis 1353 an Herz und Verstand der Christen.

 

Der Tod fordert den Mönch zum Tanz auf:

Her monick ik wil jw gar kort was seggen
den blawen budel moghet gy van jw leggen
vnde ok dar thu dat bereideken wyth
vorsuket nu wu wol jw dat dantzen syt
dat gy vaken hebben gedan myt eren
volget na gy muthen den tal vormeren

Herr Mönch, ich will euch gar kurz etwas sagen
Den blauen Beutel könnt ihr von euch legen
Und dazu auch das weiße Barettchen
Versucht nun, wie gut euch das Tanzen ansteht
Das ihr oft mit Ehren geübt habt
Folget nach, ihr müßt die Zahl [der Toten] vermehren!

Peter Walther, der bereits 1992 im Jahrbuch des Vereins für die Geschichte Berlins den Berliner Totentanz zu St. Marien einer breiten Leserschaft vorstellte, bemüht sich in ausführlichen Analysen um das Werk im Spiegel der Forschung und um die Beschreibung und Interpretation desselben. Insbesondere das Kapitel über die Verwandtschaft des Berliner Totentanzes zu anderen Totentanzdenkmälern liest sich - auch für Laien - äußerst anregend.

Die Einleitung befasst sich mit der Entstehung und Verbreitung des Totentanzmotivs. Durch Abbildungen der Fotografien und Umzeichnungen der Wandgemälde sowie der Textausgabe und ihrer Übertragung ins Hochdeutsche am Ende des Buches ist der gesamte Totentanz in der gedruckten Version mit Muße zu betrachten. Ist doch das Werk selbst innerhalb der Kirchenmauern von einer Glaskonstruktion gegen Kondenswasser geschützt und damit dem bloßen Auge der Betrachternden wenn nicht entzogen, so doch sehr entfernt (womit ich nicht die denkmalpflegerischen Maßnahmen in Zweifel ziehen, sondern die Nützlichkeit des Buches hervorheben will).

Die Analysen Walthers blättern nacheinander auch den Unkundigen wie ein Buch die Schritte zum Verständnis des Berliner Totentanzes auf: Nicht Abbild der sozialen Situation der Stadt, vielmehr eine Bußpredigt im Gewand einer allgemeingültigen Bilderfolge.

 

Gerhild H. M. Komander

 

Peter Walther: Der Berliner Totentanz zu St. Marien, Berlin: Lukas Verlag 1997. 87 Seiten. Mit 40 Schwarzweißabbildungen, Chronologie zum Berliner Totentanz, Literaturverzeichnis.

 

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